Hamsterzeit oder Eheringe kosten 1.000 Zigaretten.

Als meine Oma klein war, während des Krieges, spielte sie am liebsten Kaufmannsladen – oder Bezugscheinstelle. Mit Hingabe diskutierte sie das Für und Wider von Hosen für imaginäre Kinder, von Stiefeln für non-existente Ehemänner und illusionären Brautkleidern, bevor sie feinsäuberlich die entsprechende Genehmigung für ihre unsichtbaren Kunden ausstellte.

Gut, dass sie ordentlich geübt hatte, wie Geben und Nehmen funktioniert, denn als sich meine Großeltern kurz nach dem Krieg kennenlernten, war Hannover ein Loch. Ein verschütteter Bombenkrater voller Schutt und Nichts. In der Altstadt war kaum ein Stein auf dem anderen geblieben. Und entsprechend gab es nichts. Nichts von allem und von allem nichts. Offiziell. Wer Beziehungen hatte und mit flinken Fingern „organisieren“ konnte, der hatte alles – oder konnte zumindest alles haben.

Auf dem Bahnhofsvorplatz florierte nämlich der Schwarzmarkt: Hier waren nach dem Ende der Bombenangriffe lauter kleine Wellblechhütten entstanden, die eine Art Parallelwelt-Marktplatz darstellten. In der einen Hütte gab es Butter, in der nächsten Kartoffeln, daneben Kaffee, Perlenketten, Schnaps, Stiefel, warme Mäntel für den Winter und alles, was das Nachkriegsherz noch so begehren konnte. Alles natürlich streng verboten, aber bei diesem Grad der Sichtbarkeit doch geduldet: Razzien trafen niemals die großen Fische und die Polizistenfrauen wollten schließlich auch anständig einkaufen.

Wie gesagt: Es gab alles, man musste nur zahlen können und die von meiner Oma so geliebten Bezugsscheine waren nicht die richtige Währung. Eher konnte mein Opa ein paar organisierte Stiefel gegen einen Sack Kartoffeln eintauschen oder die vom Uropa eingeschleusten Überbleibsel aus der Schlachterei gegen ein Pfund Kaffee. Meine Großeltern waren recht findig, mit Rucksäcken voller eingekochter Butter und Speck und langen Reisen schafften sie es sogar, im fernen Köln die Familie meines Opas vor dem Verhungern zu bewahren. Doch der größte Coup waren ihre Eheringe.

1.000 Mark kostete so ein Paar schmaler Goldringe gegen Ende der 40er Jahre. Meine Oma war eine kleine Sekretärinnenmaus und mein Opa malochte bei den Eisenbahnwerken für 250 Mark im Monat. Es musste also ein Nebenverdienst her und der kam in Gestalt von Tabak. Meinem Opa hatte meine Oma die Nikotinsucht seiner Soldatenjahre schnell ausgetrieben, aber jetzt hamsterte sie über ihren Betrieb Zigaretten. Sie kaufte sie zu 5 Mark pro Stück an – und mein Opa vertickte sie mit 1 Mark Aufschlag an seine Kameraden im Gefangenenlager.

„1.000 Zigaretten?“, staune ich, „da habt ihr bestimmt eine Weile gebraucht!“ – „Och nö“, sagt mein Opa und streicht über den Ring, der auch noch über 65 Jahren Ehe immer noch glänzt wie neu, „wir hatten ja Zeit und die haben so viel geraucht damals.“ Und das alles ohne Bezugsscheinstelle.

 

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4 Gedanken zu “Hamsterzeit oder Eheringe kosten 1.000 Zigaretten.

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