[POV] Satan’s ex got half of hell in the divorce settlement, the place hasn’t been the same since.

Seit ein paar Monaten bin ich auf der Arbeit Mitglied der Creative Writing Crew – einer Handvoll Leute, die übers Schreiben reden, mit KIs und Gedanken herumspielen und gelegentlich tolle Dinge aufs Papier bringen. Diesmal haben wir uns einen Writing Prompt von reddit ausgesucht – und ich hatte wirklich sehr viel Spaß daran. Vielleicht schreibe ich ja wieder mehr (das war der Grundgedanke der CWC), hier ist jedenfalls mal wieder eine kleine Story. Enjoy ❤

“Solltest Du nicht bei Weizengrassaft bleiben? Was sagt denn Deine Ex dazu?” Zuriel stieß ihn mit dem Ellenbogen kumpelhaft in die Rippen und schwang sich mit einem frisch gemixten Proteinshake neben ihn auf einen Barhocker. Wild Strawberry Flavour, das roch Satan sofort. Angewidert schob er sein Hell’s Brew Black Beer ein Stück zur Seite.

“Scheiß auf Dich, Zuriel”, sagte er. Und nach kurzem Nachdenken: “Scheiß auf Lilith.” Er nahm einen kräftigen Schluck Hell’s Brew. Sie hatten den Alkoholgehalt auf unter 50% reduziert, aber wenn man genug davon trank, stellte sich immer noch ein angenehmes Brennen im Gaumen ein. 

“Oh-oh”, grinste Zuriel. “Zwei Maledictos für die Fluchkasse! Zahlst Du bar?” Satan atmete tief ein. Bloß keine Schlägerei anfangen, nicht jetzt, nicht hier. Er hielt die Luft an, zählte bis vier und – dreifaltige Dämonenscheiße!! Jetzt tat er es auch schon! Liliths verfluchter Entspannungsfeldzug hatte auch ihn erwischt, überall ihre Easy-Breathing-Werbetafeln – atme ein, zähl bis vier, atme aus – sie waren nicht zu übersehen. Nicht einmal für ihn. Er fluchte wieder, diesmal stumm. Er hatte keinen einzigen Maledicto mehr, es war alles für Hell’s Brew draufgegangen.

Aber es war schließlich seine eigene Schuld. Wieso kam er immer wieder herüber, auch nach der Scheidung? War es wirklich nur die Tatsache, dass Lilith nicht nur die halbe Hölle, sondern auch den Teil mit der Hell’s Brewery bekommen hatte? War das, was Kasbeel für ihn als Ersatz aus Kindsmördertränen, Saublut und Spiritus zusammenpanschte, wirklich so schlimm, dass er nicht auf das schlappe, alkoholreduzierte Gesöff namens Black Beer verzichten konnte?

Tief in seinem Inneren wusste Satan, dass es nicht um die verwässerte Brühe in seinem Glas ging. Er war vor einigen Monaten zwar nur versehentlich in den Kurs zur Inneren Erkenntnis gestolpert, der in der ehemaligen Schinderei stattgefunden hatte, aber fünf Minuten hatten gereicht, um ihm mehr innere Erkenntnisse zu liefern als er gebrauchen konnte.

Bevor er weiter darüber nachdenken konnte, stieß ihm Zuriel schon wieder seinen Ellenbogen in die Rippen. Satan grunzte und rieb sich die schmerzende Stelle: Das würde einen blauen Fleck geben. Der gefallene Schutzengel der Schwangeren und Gebärenden war früher fett gewesen wie seine überfälligsten Schützlinge, doch seitdem er in Liliths neu eröffnetem Fitnessstudio Hot Yoga und CrossFit belegte, war er drahtig geworden und seine Knochen spitz.

“Schon beim neuen Reha-Zentrum vorbeigeschaut?”, fragte Zuriel. “Sie haben endlich genug Psychologen zusammen, um die Mega-Mind-Sitzungen durchzuführen. Hast Du Trumps Rede nach der ersten Stunde miterlebt? Make America Think Again! Das war toll! Ich hatte richtig Gänsehaut! Er hat sich wirklich prima gemacht. Und Hemingway! Hast Du gehört, wie er sich im Rat für geschützte Arten engagiert? Er arbeitet jetzt an einem Plan, um die Seelen seiner Safaritrophäen reinkarnieren zu lassen. Ich überleg ja, ob ich mit Hitler auch mal dort vorbeischaue, aber ich fürchte, bevor sie seine Schizophrenie auf zellulärer Ebene nicht in den Griff kriegen, macht es wenig Sinn. Oder was denkst Du?”

Satan knurrte. Was Hitler brauchte, war seiner Meinung nach kein Reinkarnationsprojekt und auch keine Frischzellenkur. Sondern ein schönes, altmodisches Höllenfeuer. Zwei bis drei Ewigkeiten bei soliden 450 Grad, täglich einen Schluck Salzsäure und eine Geißelstunde am Sonntag. Aber diese Ansicht hatte schon in seiner Ehe mit Lilith zu ständigen Diskussionen geführt.

Jeder verdient eine zweite Chance, das war ihr ständiger Spruch gewesen. Nicht, dass Satan ihr kategorisch widersprochen hätte. Nach seinem unüberlegten Intermezzo mit der Gräfin Báthory war er froh gewesen, dass Lilith in manchen Dingen liberaler dachte. Aber Hitler?! Nein, auch Liberalismus musste Grenzen haben. 

Manche Menschen gehörten in die Hölle. In die echte Hölle, in die richtige Hölle – in seine Hölle. Aber Lilith hatte es immer anders gewollt. Gesprächstherapie statt Vierteilen. Rollenspiel und Opferaufstellung statt Entbeinen. Weizengras und Proteinshakes statt der eigenen Exkremente. Zum Teufel noch mal! Wie viele Nächte hatten sie das diskutiert! Unmenschlich hatte sie ihn genannt. Bei Jesu rottenden Gebeinen, wen glaubte sie denn geheiratet zu haben? Er war der Höllenfürst, Herrscher über Verdammnis und Fegefeuer, und damit verflucht erfolgreich. Er hatte einen Ruf zu verlieren! 

Als Lilith die Scheidung einreichte, hatte er geglaubt, dass er ab sofort wenigstens wieder in Ruhe arbeiten könne. Ja, er hatte gelitten, kaum noch geschlafen, und die Sünder im Gülleloch 36 hatten für ein paar Wochen mehr Jauche schlucken müssen als üblich, doch dann war er drüber hinweggekommen. 

Bis ihr kreuzbuckliger Anwalt damit herauskam, dass Lilith nach nur 398 Ehejahren die Hälfte seiner Besitztümer zustände. Die Hälfte! Die Hälfte der Hölle, mitsamt der Hell’s Brewery! Verdammt sei der ewige Vater mit all seinen speichelleckenden Aposteln! 

Satan hatte nicht damit gerechnet, bei der Scheidung einen Anwalt zu brauchen. Sonst hätte er zu seiner Unterstützung nicht den todessehnsüchtigen Sammael und den schlappschwänzigen Danel mitgebracht, sondern Ares und Nemesis zu seiner Verteidigung verpflichtet.

Hätte, hätte, Kusarikette. Für Konjunktive war es zu spät. Lilith bekam die halbe Hölle. Und damit begann die Veränderung.

Zuerst hatten seine Kumpane noch dreckig gelacht, wann immer die Sprache auf Liliths Neugestaltung ihrer sogenannten “Helle” kam. Doch dann schlich sich einer nach dem anderen heimlich zum Meditationskurs, ging an seinem freien Tag zum Schwimmen mit Delphinen oder besaß sogar die Frechheit, direkt neben ihm am Dämonenstammtisch von den Wundern der empathischen Resozialisierung zu schwärmen.

Kotzübel wurde ihm, wenn er von Klangbädern, Verhaltenstherapie oder den Erfolgen der Trauma-Hypnose nur hörte! Doch er wäre nicht Satan gewesen, wenn er deswegen den Schwanz eingezogen hätte, ohne auf seinem ehemaligen Hoheitsgebiet nicht wenigstens ab und zu nach dem Rechten zu schauen.

Beim ersten Mal war er ohne Verkleidung gegangen, im vollen Ornat, mit aufgespießtem Schädel auf seinem Herrscherstab und einem wogenden Umhang aus brennendem Menschenhaar. 

Beim zweiten Mal hatte er sich ein dezenteres Outfit gesucht. Brennende Materialien waren einfach unverantwortlich, um sich Hieronymus’ Bosch Triptychon und die Werke der Neuen Sachlichkeit in Liliths Galerie der Aufklärung anzuschauen. Er war vielleicht der Teufel, aber ein Kunstbanause war er nicht. Das sollte sie ihm nicht vorhalten können. Das nicht!

Um das Soul Stripper’s Paradise zu besuchen und in die Anti-Aggressions-Therapie hineinzuschnuppern, hatte er beim nächsten Mal sicherheitshalber den Tarnmantel angezogen, den Lilith ihm zum 250. Hochzeitstag geschenkt hatte. Bei allen Teufeln, er wollte ja nicht stören, zumal Kokabiel vom Stammtisch am Seelenstriptease teilnahm und er ihn wirklich nicht Verlegenheit bringen wollte. Schließlich ließen alle Teilnehmer dort tief in ihr verdorbenes Inneres blicken und Kokabiels harte Vergangenheit hatte ihn als selbst gefallenen Engel durchaus berührt. 

Beim nächsten Mal ließ er den Mantel wieder im Schrank. Unsichtbarkeit eignete sich einfach nicht, um im ehemaligen Haunted House ein Bier zu bestellen. Beim ersten Mal hatte er eine halbe Stunde an der Bar gewartet und schließlich frustriert alle unbeaufsichtigten Gläser geleert. Ein Mix, der ihm einen furchtbaren Rausch und noch furchtbarere Kopfschmerzen beschert hatte. 

Inzwischen fiel er in schwarzen Skinny Jeans, einem verwaschenen Jeanshemd und weißen Sneakers kaum noch auf, wenn er daran dachte, seine Reißzähne unter dem Vollbart zu verbergen. Hatte er jedenfalls gedacht, aber nun saß Zuriel neben ihm und ging ihm mit Weizengras und Trumps Therapieerfolgen auf die Nerven. Sein Inkognito hatte also offenbar Grenzen und er musste befürchten, dass ihm bald die gesamte Mannschaft der Bekehrten auf die Pelle rücken würde.

Und dennoch würde er morgen wiederkommen. Er hatte sich daran gewöhnt.

Morgens eine Runde CrossTorture – die eher sportlich geprägte Foltermethode war sein Zugeständnis an die neue Zeit, er hatte sie Zuriel ein wenig abgeschaut, obwohl bei seiner Variante mehr Blut als Schweiß floss. Danach Appell der Verdammten und Brandmarken der Neuzugänge. Nach dem Mittagessen hatte er frei, bis er am frühen Abend Zungen spalten, Hände abhacken und den Schwefelanteil im Fegefeuer prüfen musste. Vier Stunden hatte er für sich – und was fing er damit an? Er ging zum Treffen der Anonymen Alkoholiker und trank danach in der neuen Liquid Lounge bis er keinen Maledicto mehr in der Tasche hatte. 

Die Anonymen Alkoholiker und Black Beer, das war jetzt sein Ding. Früher hatte er in seiner Freizeit Succubi verführt – und jetzt? AA und Black Beer, er unterdrückte ein düsteres Lachen, AA und BB, ein Paradoxon, so gegensätzlich wie Himmel und Hölle in der guten alten Zeit, so gegensätzlich wie Lilith und er.

Und doch kam er jeden Tag wieder her. 

Wartete er darauf, dass sein Inkognito vollends enttarnt würde? Dass Zuriel herumtratschte, mit wem er seinen Proteinshake trank? 

Manchmal hatte er schon überlegt, ob sein Höllenjob alles gewesen sein sollte, was er vom Leben zu erwarten hätte. In jungen Jahre hatte er Ehrgeiz darin entwickelt, immer neue sadistische Methoden zu erfinden. Er und seine Kumpel hatten am Dämonenstammtisch buchstäblich gewetteifert, wer sich die schlimmsten Qualen ausdenken konnte. Dann war er älter geworden und hatte sich damit getröstet, dass er der Gemeinschaft der Menschen mit seiner Arbeit einen Dienst erwies. Angst vor der Hölle – weniger Bosheiten auf der Erde. Darin hatte er Sinn erkennen können.

Aber mal ehrlich: Wem wollte er damit noch etwas vormachen? Spätestens seit Luther mit seinem Protestantentum um die Ecke gekommen war, war die Hölle doch kalter Kaffee auf Erden. Er folterte sich die Seele aus dem Leib und da oben distanzierten sie sich mehr und mehr von ihm. Dienst für die Gemeinschaft? Dass er nicht lachte. Damit war es lange vorbei, und eigentlich hatte es nie funktioniert. Die Menschen waren zu dumm.

Außerdem kroch ihm das Alter in den Knochen. Morgens, wenn es in der Hölle noch eiskalt war, knirschten seine Schultermuskeln bedrohlich, wenn er zu den ersten Schlägen beim CrossTorture ausholte, und es war lange her, dass er eine ganze Nacht im Club Dead durchgetanzt hatte. 

Er gehörte zum alten Eisen, vielleicht sollte er das langsam einsehen.

Lilith war noch einmal ein Lichtblick gewesen, trotz ihrer neumodischen Ansichten. Oder gerade deswegen? Mit ihr hatte er sich noch einmal jung gefühlt, trotz Luther und der steigenden Anzahl der Kirchenaustritte. Doch Lilith war weg. Und er vermisste sie! Immer noch. Jeden Tag. Da konnte er die armen Seelen im Gülleloch 36 noch so viel Jauche schlucken lassen.

In der Liquid Lounge hatte er wenigstens das Gefühl, ihr ein wenig näher zu sein. Das alte Haunted-Gebäude war eines der ersten gewesen, die sie nach ihrer Übernahme neu gestaltet hatte. Hier hatte sie selbst renoviert und die Inneneinrichtung gestaltet. Jedes Bierglas, jeden Barhocker hatte sie selbst ausgewählt. Und so setzte er hier täglich seine Lebergesundheit aufs Spiel und sich selbst der potenziellen Lächerlichkeit aus. 

Warum? Weil er immer noch hoffte, Lilith in der Helle wiederzusehen. Ja. Das war es, punktum. Das konnte er jetzt zugeben, wenigstens vor sich selbst. Was war schließlich so schlimm daran, seine Frau zu lieben?  

“Ex”, sagte Zuriel. “Sie ist Deine Ex-Frau.”

Satan fuhr zusammen. Hatte er laut gesprochen, Selbstgespräche gebrabbelt wie ein seniler alter Säufer? Seit wann hatte er vor sich hingeredet, was wusste Zuriel? Was würde er herumerzählen?

Satan sprang auf. Packte seinen Barhocker mit der rechten Hand, holte aus und schmetterte Zuriel mit einem einzigen schwungvollen Schlag vom Stuhl. Er musste ihn erledigen, zum Schweigen bringen. Jetzt.

Krachend ging der drahtige Engel zu Boden. Früher hätte seine Körpermasse den Sturz aufgefangen, heute schlug er hart auf den frisch versiegelten Dielen auf. Blut lief aus seinem Mund und seiner Nase, als er sich mühsam aufrichtete. Er strahlte über das ganze Gesicht. 

“Einatmen! Bis vier zählen!”, rief er. “Atme, mein Freund!” Er räusperte sich und spuckte zwei seiner Zähne in die hohle Hand. “Atme! Das ist gut! Lass es raus, lass die Wahrheit raus!” 

Wie erstarrt stand Satan da. Er ließ es geschehen, dass die herannahenden Achtsamkeitswächter sacht den Barhocker aus seiner Faust lösten und Zuriel aufhalfen. Kaum bemerkte er, wie er behutsam zurück auf seinen Sitz gedrückt wurde und ein Becher mit Eiweißshake den Weg in seine Hand fand. Lemon Cheesecake, die einzige Sorte, die er erträglich fand.

Aus dem Augenwinkel bemerkte er, wie Zuriel von zwei rotgekleideten Retterdämonen zu einer wartenden Regenerationskutsche geführt wurde. 

Dann war er wieder allein. Ganz allein. So allein, wie er immer gewesen war.

“Satan.” Die leise Stimme sprach seinen Namen so sanft aus, wie nur eine einzige Frau in der Unterwelt es jemals getan hatte. Er wusste sofort, wer hinter ihm stand. Er musste sich nur umdrehen, um sie endlich wiederzusehen.

“Satan. Ich weiß, dass Du es bist. Ich habe es die ganze Zeit gewusst. Jeden einzelnen Tag.” Sie stand so nah hinter ihm, dass er ihren Atem wie einen Kuss auf dem Nacken spürte. Er rührte sich nicht.

“Satan!” Lilith wurde ungeduldig, das konnte er hören. In seinem früheren Leben hatte es genügt, seinen Namen dreifach auszusprechen, um seine Präsenz mit Feuerfunken und Gloria zu entfalten. Jetzt wirkte der Zauber nicht mehr. Er war müde.

Sie wiederholte seinen Namen nicht noch einmal. Stattdessen vernahm er das ihm so gut bekannte, leise Klacken, mit dem Lilith den Verschluss ihrer Handtasche aufschnappen ließ. Tausend Mal am Tag öffnete sie das Ding, um minutenlang leise fluchend darin zu wühlen und schließlich Lippenstift, ihr Eau de Enfer, ihre geliebte To-Do-Liste oder sonst ein dringend benötigtes Accessoire hervorzuziehen.

Diesmal dauert es nicht lange und er hörte auch keinen ihrer unschuldigen kleinen Flüche. Offenbar hatte sie den gesuchten Gegenstand sofort griffbereit. So raschelte es nur kurz, dann landete ein zerknüllter und wieder glattgestrichener Flyer neben seinem Becher.

Paartherapie für Einsteiger und Hoffnungslose stand darauf. 

Satan rührte sich nicht. Er musste nicht weiterlesen, um zu wissen, was noch dort zu lesen war. Er hätte niemals damit gerechnet, dass dieser Wisch ihm ausgerechnet von Lilith vorgelegt werden würde – eher noch hätte er das der Gräfin Báthory zugetraut, die ihn immer noch gelegentlich stalkte und dabei kryptische Botschaften in seinen privaten Gemächern hinterließ. Aber die schmierte sie für gewöhnlich mit Blut an die Wände.

Lilith also. Paartherapie.

Ihm wurde flau im Magen. Sicher kam das vom Hell’s Brew. Oder von den übelkeiterregenden Pastelltönen des Flyers. Er rülpste verhalten und konnte sich trotzdem nicht davon abhalten, die Überschrift noch einmal zu lesen. Für Einsteiger und Hoffnungslose. Der Rest war kleingedruckt, aber er kannte den Text. Wort für Wort. Und die Hoffnung hatte er schon lange aufgegeben.

Den Flyer hatte er gesehen, als er aus dem Seminar für Innere Erkenntnis gestolpert war. Dort lag er im Vorraum, direkt neben einem Flugblatt vom Haus des Abends. Wie in Trance hatte Satan beide Papiere eingesteckt und daheim in seinem Teil der Hölle lange darüber gebrütet. 

Neuanfang und Wiederbelebung, das waren die Schlagwörter der Paartherapie. Das klang nach Lilith, frisch und frei – sie war so fröhlich gewesen. Ihm fehlte ihr Lachen, ihre Energie, ihr Optimismus. Alles an ihr fehlte ihm.

Das zweite Flugblatt war anders. Es war weniger bunt. Die Schrift war größer, er hatte alles deutlich besser lesen können. Und auch die Formulierungen würdevoller Übergang, abgeschiedene Zimmer und barrierefrei hatten ihm gefallen.

Beide Prospekte lagen seit Monaten auf seinem Nachttisch. Er griff oft danach, wenn er nachts nicht schlafen konnte. Immer wieder hatte er stundenlang darüber gegrübelt. 

Doch eigentlich war ihm alles schon klar gewesen, bevor er die beiden Zettel überhaupt eingesteckt hatte. Sie waren nur der letzte Wink mit dem berühmten Zaunpfahl gewesen, endlich seinen haarigen Arsch hochzukriegen: Lilith hatte einen wahrlich hervorragenden Dozenten für die Innere Erkenntnis ausgewählt. 

Vielleicht sollte er ihr dazu gratulieren. Und dann würde er tun, was er schon lange hätte tun sollen. 

Dieses Affentheater musste ein Ende haben. 

Er war immer noch der Höllenfürst, der machtvolle Herrscher über Ewigkeit und Verderben. Er würde sich nicht länger verkriechen, nicht länger mitansehen, wie alles, was er je geliebt hatte, verlacht und ignoriert wurde. Vielleicht war er altmodisch gewesen, ja, zur Hölle noch mal. Vielleicht hatte er die Dinge zu lange schleifen lassen. Aber er konnte sich ändern. Er konnte lernen. Und er würde es tun, das schwor er bei den goldenen Haaren seiner Großmutter. Die Zeit für Abschied war noch nicht gekommen. Und hoffnungslos? Natürlich! Er war der Gebieter der Hoffnungslosigkeit! Hell yeah, Motherfuckers! Er würde ihnen zeigen, was Hoffnungslosigkeit bedeutete. 

Der Neuanfang war jetzt.  

Adrenalin prickelte wie Quecksilber durch seine Adern. So lebendig hatte er sich lange nicht gefühlt. 

Er holte tief Luft, schob den Proteinshake beiseite und drehte sich um.

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