Das Leben ist ein Berg.

Das Leben ist ein Berg.

Wenn man jung ist, geht es ständig bergauf: Man weiß nicht, wann oder wo man ankommt. Das Ziel ist unbekannt und es gibt tausend blinkende Neonpfeile, die einen ständig in alle Richtung locken. Alles sieht toll oder aufregend aus – oder ist einfach da. Man muss gehen, vorangehen, und manchmal endet man oben auf einem funkelnden Riesenrad oder man bleibt stecken im Sumpf oder in einem Dornengestrüpp. Aber wo man auch landet, man geht endlos voran.

Und endlos begleitet einen die Ratlosigkeit: Man hat nie auch nur die geringste Ahnung, welche Abzweigung die beste Option, welcher Pfeil der richtige Wegweiser ist.

Man feiert den Weg und die Wildnis und das Wagnis nicht, wenn man jung ist. Man feiert öfter, aber man genießt das Leben nicht als Ereignis an sich. Dafür ist man viel zu oft verzweifelt, verloren, einsam und knietief im Dreck.

Man kann die Schönheit, die Lebendigkeit, die Optionen, gar nicht wertschätzen. Ist ja alles ewig, gefühlt, und auch das Unglück ist endlos und wiegt schwer.

Und dann ist man plötzlich oben. Taucht auf, schaut über die Wolken.

Entscheidet sich für eine Lebensform und kurz steht man noch auf dem Gipfel und ist überwältig von der Aussicht. Und dann reißt es einen schon abwärts auf dem kargen Schotterweg aus Alltäglichkeiten. Unaufhaltsam.

Und anders als auf dem Weg bergauf kennt man das Ziel sofort: Unten steht schon der Sarg, mit aufgeklapptem Maul. Da geht’s hin. Ende.

Was man außerdem noch sieht, sind die unvermeidbaren Stationen: graue Haare, schlaffe Haut und Rückenschmerzen. Wenn nicht noch Gröberes.

So sieht das aus. Geradlinig, öde und dem unabänderlichen Verfall direkt entgegen.

Denn nicht Jugend ist ewig, auch wenn sie sich so anfühlt. Verfall ist ewig.

Verfall ist ewig, wenn auch nicht endlos, und das fühlt man gewaltig.

Das Ende ist klar, ungeachtet des Wie und Wann.

Auch der Weg dorthin fühlt sich klar an. Aber vielleicht gibt es immer noch Optionen. Man muss nur hinschauen, vielleicht.

Man hat wieder die Wahl. Die breite, öde Asphaltstrecke – oder die kleinen, schnell unsichtbaren Trampelpfade rechts und links, die einen, klitzeklein beschriftet, an gute Orte führen. Wo man unverhoffte Picknicks macht oder plötzlich einen neuen Blick auf bekannte und unbekannte Landschaft werfen kann.

„Bleib noch mal wach, geh tanzen“

„5 Minuten Flirt mit irgendwem, ohne Fortsetzung“

„Versuch mal Bodyboard statt Surfen“

Wer sich gegen Brillentragen wehrt, bleibt kurzsichtig und brettert vorbei an diesen kleinen Schildern. Bleibt auf dem breiten, grauen Weg. Und nimmt nur die Hauptstationen mit. Falten, Fersensporn, und verschärfte Sehbehinderung-

Wer die Trampelpfade sieht und einbiegt, fühlt das Glück, das man beim Bergaufjagen nicht erkennt. Denn bergab ist nichts mehr selbstverständlich.

Alles Kleine wird zum Ausbruch, zum Genuss, zum endlichen Moment für die Schatzkiste. Auch das Kleine führt ins Grab, doch was ist so ein Sarg letztendlich – wenn nicht unsere Schatzkiste fürs gelebte Leben.

Werbung

3 Gedanken zu “Das Leben ist ein Berg.

    • Sabine Wirsching schreibt:

      Ich gebe mir Mühe mit dem Akzeptieren 😀 Drüber schreiben ist schon mal ganz hilfreich – nach dem Motto: Solange wenigstens Text dabei herauskommt, kann es nicht nur übel sein.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s