10 Tipps zum Schreiben & Lärmen

Ich habe immer gern geschrieben. Ein bisschen Talent, eine Vorliebe für Geschichten und Schreibmaschinen – und so war ich mit Mitte Zwanzig die typische zugezogene Berlinerin: Ich wollte „was mit Schreiben“ machen.

Was genau? Ich hatte keine Ahnung und machte mich auf Stellensuche. Der erste Versuch war ein sehr ahnungsloses Vorstellungsgespräch als Sekretärin, bei dem der Personaler und ich uns am Ende einigten, dass wir am besten so tun würden als sei ich nie dagewesen. „Was mit Schreiben“ bedeutete für mich also weder Steno noch 10-Finger-System.

Die nächste Option war vielversprechender: Der Job nannte sich „Texterin“ und bestand darin, für eine dubiose Holding diverse Marketinginhalte zu erstellen. Es gab strenge Kleidervorschriften, cholerische Vorgesetzte – und einen erfahreneren Kollegen, der mir die ersten Ratschläge zum Handwerk gab.

Seitdem sind mir einige gute Schreiber begegnet, und von vielen konnte ich lernen. Hier sind die Tipps, die über die Jahre in meine Werkzeugkiste gewandert sind – nicht perfekt geordnet, aber für Julie ❤

1. Vom Schreiben

1.1. Schaff eine Struktur.

Jeder Text – ob Roman oder Essay – braucht einen roten Faden: Um was geht es und was ist die Antwort, die Lösung, das Fazit. Wenn man Anfang und Ende eines Textes kennt, kann man sich relativ einfach von A nach B (oder E) hangeln. Wenn man sich zwischendurch verrennt, merkt man das meistens und kann sich wieder zurück auf den rechten Weg bringen: Lesen, den Punkt identifizieren, an dem man den Faden verliert und von dort aus neu starten.

Aber der gerade Weg vom Anfang zum Ende ist nicht der einzige: Manchmal hat man einen Anfang und legt bombastisch los, um sich dann in einem Knäuel aus losen Themen-Fäden zu verheddern. Um dort herauszufinden und die Fäden zu einem starken Seil zu knüpfen, gibt es mehrere Methoden:

  • Besinne Dich auf dein Thema: Was war dein Anliegen oder deine Frage? Welche Fäden tragen dazu bei und welche nicht?
  • Besinne dich auf deine Aussage: Worauf willst du hinaus? Zahlen alle Fäden darauf ein oder wollen manche Fäden ein eigenes Textgewebe werden?
  • Fang neu an: Nimm deinen Chaostext und leg dir ein frisches Blatt daneben. Markiere schlüssige Absätze, verbessere Verwendbares und streiche irrelevantes. Nimm Thema und Kernaussage als Leitfaden und sortiere deine Absätze neu.

Oder du machst es wie ich bei diesem Text: Du schreibst häppchenweise, sortierst die Häppchen x Mal neu, bis sie logischen Sinn ergeben (hoffe ich doch), und fügst zum Schluss noch Anfang und Ende dazu. Merkt kein Schwein, dass dieses Ding als Chaos begann.

Wichtig ist, dass der Leser am Ende mit Struktur durch den Text geführt wird. Wie du das erreichst, das ist dein kleines Schreibergeheimnis.

1.2. Schreib nichts, was du nicht selbst lesen willst.

Dein Blog hat den Klimawandel als Thema, und du quälst dich seit Ewigkeiten mit einem relevanten Text zur WM in Katar herum? Du schreibst einen Roman über Fische an Land, willst aber nicht erklären, wie das mit der Atemtechnik funktioniert? Dann lass es einfach. Das ist okay (und beides nur ein Beispiel): Schreibzeit ist kostbar, nutze sie bestmöglich für dich!

In meinem zweiten Roman ging es um eine On-/Off-Beziehung und nach der zweiten Krise hatte ich die Nase voll von Trennungsstreitereien. Ich musste selber schon gähnen bei dem Gedanken, mir für den gleichen Trouble wieder neue Sätze einfallen zu lassen.

„Wenn du’s nicht lesen willst, dann schreib’s nicht.“ Dieser Satz erlöste mich regelrecht. Ich schrieb kein irrelevantes Trennungsgespräch. Sondern sprang direkt in die nächste Szene. Denn ich selbst wollte wissen, wie es weitergehen würde. Und bis heute ist dieses Ungeschriebene eine der Passagen, auf die ich wirklich stolz bin.

1.3. Schreib über das, was du kennst.

Wenn du keinen Bock auf deinen Text hast, wer zur Hölle soll sich dann sonst dafür begeistern? Das ist Punkt Eins. Punkt Zwei ist, dass man einem Schreiber sein Zeug nur abkaufen kann, wenn er sich auskennt.

Karl May war vielleicht nie im Wilden Westen, aber er hat mindestens ein Wild-West-Paralleluniversum erfunden. Jane Austen war nie verheiratet, also gibt es in ihren Büchern keine einzige Hochzeitsszene. Ich werde nie eine anständige historische Recherche hinkriegen, also war meine Bachelorarbeit ein Desaster und ich werde meine Idee von einem Generationenroman nie umsetzen.

Jedes Thema ist erlaubt, aber sei ein:e Expert:in, wenn du es wählst.

1.4. Wenn es auf die eine Art nicht geht, mach es anders.

Oft macht man es sich selbst viel zu kompliziert. Und verrennt sich in einem Wortgestrüpp, aus dem man kaum mehr herausfindet – wie soll dann ein Leser hineinfinden? Vermeide den Brainfuck und leg den Rückwärtsgang ein: Stell dir vor, du erklärst einem Kollegen oder einer Freundin, um was es eigentlich gehen soll. Und dann schreib hin, wie du es dem realen Menschen sagen würdest. 

Aber dieser Tipp lässt sich nicht nur auf Formulierungen anwenden, sondern auch auf Textformate (oder auf das ganze Leben). 

Du wolltest einen essayistischen Blogbeitrag schreiben, hast aber jetzt einen Textbrocken ohne Fazit auf dem Rechner? Dann schau, ob du ein gutes Fragment daraus bauen kannst – oft braucht es nur eine andere Überschrift oder den Verzicht auf Vollständigkeitsanspruch. Du hast eine wunderschöne Szene, die in keine Geschichte passt? Mach einen Song draus, ein Stimmungsbild oder ein Gedicht. 

Bevor du deine Gedanken und deinen Schreibtisch mit gefühlt halbfertigen Projekten blockierst, mach etwas aus dem, was du hast! Und vielleicht entdeckst du dabei ganz neue Möglichkeiten.

1.5. Der erste Satz muss eine Explosion sein. Und der zweite ein Erdbeben.

Es geht um Aufmerksamkeit. Immer. Wer den Leser nicht schnell kriegt, kriegt ihn gar nicht.

Wie schnell, das kommt auf Medium und Textformat an: Bei Werbung oder Radio ist die Chance auf Aufmerksamkeit minimal, im Internet vielleicht noch kleiner – bei einem gedruckten Magazinartikel oder einem Stück Prosa bekommst du vielleicht ein paar Sekunden mehr.

Aber du musst den Leser packen, mit einem Satz, der eine emotionale Reaktion auslöst. Interesse, Überraschung, Zustimmung, Ablehnung, Spannung, Erheiterung, Genuss… sogar Ekel – schreib etwas hin, bei dem man mehr wissen will. 

Und: Oft schreibt sich der erste Satz am besten zuletzt. Wenn du genügend Sprengstoff gesammelt hast und genau weißt, was Text zur Detonation bringt.

2. Vom Überarbeiten

2.1. Better done than perfect.

Editing – ja. Jede Menge davon. Aber bitte nicht sofort! Wer schreiben will, sollte erst mal schreiben und nicht denken. Schreiben! Egal, was oder wie. Hauptsache, man lässt sich nicht vom leeren Blatt anstarren bis man den Mut verliert.

Viel zu viele Schreiber – auch die genialen – hängen sich daran auf, dass ein Text Satz für Satz perfekt sein muss. Nein. Muss er nicht. Bevor es nach einem guten Satz nicht weitergeht, weil man den Anschluss nicht findet, kann man lieber ein paar Stichworte hinkritzeln, ein „xxx“, eine gleich zur Überarbeitung markierte Passage, whatever. Oder man stellt sich den Wecker auf 10, 15 oder 25 Minuten: Schreiben auf Knopfdruck, auf Zeit, ohne Nachzudenken.

Wichtig ist, dass man den eigenen Flow nicht killt, indem man jedes Wort auf die Goldwaage legt.

2.2. Write drunk, edit sober.

Hat Hemingway gesagt und für den alten Trunkenbold galt es wohl wortwörtlich. Ich denke eher an den Rausch, den Schreiben auslösen kann… wenn man im Flow schwimmt und die Worte nur so strömen. Diese Momente sind die schönsten Minuten, Stunden und Tage. Das beste Gefühl, das ich kenne. So könnte es immer sein!

Doch auch wenn der Moment perfekt ist: Was man dabei produziert, ist es nicht immer.Schreiben geht schnell, wenn es fließt, Editing braucht oft noch einmal genau so lang. Aber es ist keine Schande daran, den eigenen Text noch mal zu prüfen oder (noch besser) gegenlesen zu lassen. Such dir dafür a) einen Schreiber, der in deinen Augen kompetent ist und dir nicht seinen Stil aufzwingen will und/oder b) einen ehrlichen Leser. 

2.3. Kill your darlings.

Beim Schreiben ist es oft wie bei Sport: In den ersten Absätzen dehnt und erwärmt man den Textmuskel. Um was sollte es noch mal gehen? Wo will ich anknüpfen? Wichtige Fragen, aber das Ergebnis liest sich oft zäh. Und wie beim Sport am Ende das Spiel oder die Kür zählt, kann man beim Schreiben den Aufwärmteil in der Regel im Nachhinein wieder streichen.  

Dasselbe gilt für Passagen, die nur schön, aber nicht zielführend sind. Das können die tollsten Sätze sein, die schönsten Bilder, deine liebsten Charaktere: Was nichts bringt – nicht zum Inhalt oder zum Ergebnis beiträgt –, das kann weg. 

Dabei muss man ja nicht gleich alle Brücken verbrennen: Ich speichere oft mehrere Textversionen, je nach Überarbeitungsstatus. Weitergearbeitet wird mit der aktuellsten Version, aber was ich mit Herzblut geschrieben habe, darf in einem abgelegenen Ordner stumm vor sich hinmodern. 

3. Von K.O. und Kritik

3.1. Nimm’s nicht persönlich.

Natürlich wollen wir am Ende am liebsten Komplimente hören. Im Idealfall ist man stolz auf sein Geschriebenes. Vielleicht mit einem Schuss Schamesröte, weil man oft ziemlich viel von sich preisgibt, aber vielleicht auch gerade deswegen stolz. Und entsprechend sehr, sehr empfindlich, was die Rückmeldung anderer angeht. Das ist okay.

Aber: Komplimente bringen einen nicht weiter. Kritik dagegen schon. Allerdings sind hier zwei Arten von Feedback zu unterscheiden: relevante Aussagen, die dich fördern, und irrelevante Reaktionen, die mehr über den anderen als über deinen Text aussagen.

Ich weiß noch sehr genau, dass ich mal einen Text an einen meiner Lieblingsautoren schickte und er das Ganze in einem Satz als Bullshit abtat. Himmel, es tat weh und ich habe alles in Frage gestellt. Später wurde mir klar, dass ich ein Stück halb-feministisch geprägter Prosa an einen weißen alten Mann geschickt hatte.

3.2. Du bestimmst deine Kritiker.

Statt dir von irgendwelchen dahergelaufenden Schreibern oder Leser sagen zu lassen, was du tun oder lassen sollst, wähle deine Kritiker weise. Von meinem Lieblingsschriftsteller damals wollte ich Lob und Begeisterung hören – ich wollte mein Talent von ihm verifizien lassen. Tja. Hat nicht geklappt. Aber ist mein Schreiben nun nichts mehr wert? Ich liebe es doch.

Meine Lösung war, dass ich seitdem bewusst hilfreiche Kritik von Menschen fordere, die ich schreiberisch als kompetent einschätze. Auch die sind oft gnadenlos. Ich habe fuderweise Worte umgewälzt, Charaktere verändert und ganze Erzählstränge verändert, weil sie mich mit der Nase auf Inkonsistenzen oder Langweiligkeiten gestoßen haben.

Komplimente gab es von diesen Personen übrigens fast nie. Aber es gab den unverrückbaren Fakt, dass sie sich die Zeit nahmen, mein Zeug zu lesen und zu überdenken. Sie glaubten an mich. Welches größere Lob kann es geben?

4. Bau dir ein Dorf.

Vor meinem inneren Auge war ein Schreiber immer einer, der im stillen Dachkämmerchen selbstvergessen in die Tasten haut. Kann sein – aber besser wird ein Schreiber nur durch den Kontakt mit anderen Schreibern. Such dir eine Community, die aus Leuten besteht, die auf deinem Niveau schreiben, und Leuten, von denen du dir handwerklich etwas abschauen kannst. Ob auf der Arbeit, in Blogs oder von mir aus auf LinkedIn: Such dir eine lebendige Gemeinschaft von lesen und gelesen werden. Schau hin, hör zu, diskutiere, lebe – schreibe.

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