Da wären wir ja wieder fast satt geworden oder Kinderversorgung oldschool.

Früher gab’s kein Kindergeld und auch sonst kein Happy-Hippo-Meal für den Nachwuchs. Aber dafür lag die Durchschnittskindermenge in meiner Familie um die Jahrhundertwende nicht bei eins-komma-fünf, sondern eher bei sechs bis acht. All diese Mäuler wollten gestopft werden und um das zu bewerkstelligen gab es verschiedene Methoden:

Bei meinem Uropa waren es hungrige Sieben, die nach dem Tod des Vaters (mein Ururopa fiel beim Läuten der Sonntagsglocken vom Kirchturm) mit einer verzweifelten, aber findigen Ururoma zurückblieben. Zuerst haben Mutter und Töchter genäht, gestickt, gestopft und gestrickt, was die Finger hergaben. Mein Uropa als Jüngster konnte nicht nähen und wurde als Lieferant eingespannt: Er schleppte die Textilpakete nach der Schule zu den Auftraggebern.

Als die Töchter älter wurden, fand Ururoma eine einträgliche und am Ende viel effektivere Methode, ihre Kinder abzusichern: Sie begann, in ihrer kleinen Wohnung stets ein Zimmer unterzuvermieten. An junge Herren mit guten Jobs. Die sich – einer nach dem anderen und schön dem Alter nach – in ihre hübschen Töchter verguckten. Hochzeit gut, alles gut.

Bei meiner Uroma (die später den Uropa aka den kleinen Wäschelieferanten heiratete) war das Ganze ein wenig anders: In ihrer Familie gingen die halbwüchsigen Mädchen „in Stellung“. Sprich, sie arbeiteten als Dienstmädchen gegen Kost, Logis und ein kleines Gehalt bei den besseren Damen -also einer Frau Schneidermeisterin oder einer Frau Postmeisterin. Das hieß nicht nur Fensterputzen (im vierten Stock von außen, auf dem schmalen Sims balancierend), sondern sich auch zu jeder Tages- und Nachtzeit von der Dienstherrin kommandieren lassen.

Zu den besonders unschönen Kommandos gehörte das Recht der Dame, die täglichen Mahlzeiten zu beenden, wann immer es ihr passte. Und da sie im Gegensatz zu allen anderen im Haus nicht körperlich arbeitete und auf ihre Linie achtete, war sie nach ein paar Bissen stets satt. Während allen anderen der Magen noch in den Kniekehlen hing, pflegte sie mit einem feinen Klirren ihr Silberbesteck niederzulegen, sich zurückzulehnen und zu sagen: „Dann sind wir ja alle wieder satt geworden.“

Bis meine stille Omi ihr eines Tages zuvorkam. Als die feine Dame klirrte, lehnte und eben ihr Sprüchlein aufsagen wollte, sagte sie laut und vernehmlich: „Da wären wir ja FAST wieder alle satt geworden!“ – und stand vermutlich auf, um ihre Sachen für den Rausschmiss zu packen.

Welche Stellung sie danach annehmen musste (ihre eigene Tochter wurde später Kindermädchen für eine Horde, bei der manche der Zöglinge älter waren als sie selbst), ist nicht bekannt. Aber der Spruch, der ist geblieben. Auch wenn wir ihn nur dann sagen, wenn wir alle pappsatt in der Ecke liegen.

 

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8 Gedanken zu “Da wären wir ja wieder fast satt geworden oder Kinderversorgung oldschool.

  1. eimaeckel schreibt:

    Und wie kam der Uropa an die Uroma. Hatte besagte Dame einen Wäschereparaturvertrag mit der Ururoma, und der Uropa musste ans Hausmädchen liefern? Mehr davon.

  2. eimaeckel schreibt:

    Gerne, ich warte drauf 🙂 Manchmal geben die Geburtsdaten der Kinder Auskunft über die ersten Dates der Eltern. Ich habe mich manchmal gefragt, warum meine kreuzkatholische Großmutter einen evangelischen Mann heiraten durfte. Dann sah ich, dass meine älteste Tante fünf Monate nach der Hochzeit geboren wurde. Danach kamen dann noch elf andere Kinder, da fiel das dann nicht mehr so auf.

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