Wer meine Oma kennt, der weiß, dass sie eine sehr korrekte Frau ist. Die Gardinen werden regelmäßig gewaschen, Gäste bis zum absoluten Pappsatt bewirtet, das Klo ist stets blitzblank geputzt und sonn- bzw. feiertägliche Betätigung in Haus und Garten absolut verboten: Das macht man nicht! Was sollen denn die Nachbarn denken?!
Trotzdem… hat sie manchmal Anfälle, bei denen ihr der Schalk aus allen Knopflöchern blitzt. Nicht nur dass sie mit weit über 80 noch Bocksprünge ins Schlafzimmerfenster macht, auch früher hat sie manchmal schon Dinger gebracht, die nur schwerlich mit jemandem zusammenpassen wollen, der sogar die Waschlappen bügelt. Zum Beispiel als mein Opa Ende der 60er in die Kur fuhr und dafür von Frau und Tochter verabschiedet werden sollte.
Ganz entgegen ihrer Gewohnheit war die Deutsche Bahn pünktlich (Ende der 60er eben, vielleicht lag es auch dran, dass mein Opa bei der Bahn malochte und besonderen Anspruch auf funktionierende Züge geltend machen konnte). Wie auch immer: Sein Zug war pünktlich, seine Frauen waren es nicht.
Meine Mutter war damals ungefähr 15 und meine Oma hochrespektable Chefsekretärin, die bei der Varta den ganzen Laden schmiss. So oder so beeilten sie sich, um meinen Opa noch zu erwischen – auf dem Weg zum Bahnhof nahmen sie sogar ein Taxi, damals ein absoluter Luxus für die Fuhrenkamp’sche Familie. Meine Mutter konnte als Jung-Handballerin flitzen wie ein Bürstenbinder, bei meiner Oma war das feine Chanel-Kostüm hinderlich. Zumindest, bis sie in vollem Galopp die Treppe zum Gleis hinauf rannte und Chanel mit einem unfeinen „krrrcht!“ den Geist aufgab. Da stand sie nun: in Kostümjacke, Strumpfhose, hohen Hacken und ansonsten blank. Es waren die 60er, Summer of Love, aber das ging auch nicht mehr als Mini-Minirock durch, niemals.
Aber wie gesagt: Meine Oma ist eine ganz Korrekte. Und korrekterweise musste der Mann in den Kuraufenthalt verabschiedet werden. Meine Oma nahm also Beine und Rockfetzen in die Hand, schaffte es rechtzeitig auf den Bahnsteig und winkte meinem Opa und dem abfahrenden Zug mit einem etwas ungewöhnlichen Fähnchen nach. Manchmal muss frau eben tun, was frau tun muss.
🙂
Daran zeigt sich die wahre Dame, dass sie auch in einer solchen Lage Haltung bewahrt 😉
werd ich ausrichten (dann kichert sie wieder schelmisch und freut sich).
*kicher*