Der Knochenkalle hat wieder Strom in seinem Haus.
Und das Erste, was er in Betrieb setzt, ist nicht der Kühlschrank und auch nicht der Boiler. Für ihn stehen Milch und Eier in der immer noch winterkalten Diele genauso gut, für heißes Wasser lässt er den Teekessel auf dem Herd pfeifen und „neumodischer Scheiß“ aka Radio-Computer-Handyladekabel kommt ihm sowieso nicht ins Haus.
Nein. Das Erste, was Kalle wieder in Betrieb setzt, ist sein Plattenspieler.
Sorgfältig wischt er den Staub von der Abdeckung, reinigt behutsam die Nadel, öffnet den Schrank und zieht mit sicherem Griff eine Platte heraus. Eine Platte von mindestens 2.000, wenn ich das auf den ersten Blick richtig schätze. Ein ganzes Eichenbüffet hat er voll davon, und ich wusste nicht mal, dass er überhaupt Musik hört.
Jetzt zieht er mit heiligem Ernst das schwarze Vinyl aus der Hülle, klemmt es behutsam zwischen Mittelfinger und Mittelfinger und lässt es auf den Plattenteller gleiten. Ein letzter Wisch mit schmalen Bürste, mit der ich zuhause als Kind in unbeobachteten Momenten meine Wangen streichelte, so unwiderstehlich weich war sie und so verboten, dann senkt er den Tonarm ab.
Das Knistern allein ist Musik. Kein Vergleich mit der eiskalten Präzision eines CD-Players, mit dem Knistern öffnet sich mein Herz wie bei den ersten Strahlen des Sonnenaufgangs, schwingt und zittert wie Äste im Sommerwind, öffnet sich weit und singt noch vor dem ersten Ton.
Und dabei beginnt es erst. Eine Chorusline quillt aus dem Lautsprecher, eine dunkle Stimme, ein Klavier, schwere Wehmut und so viel Sehnsucht, dass man nicht anders kann als das Leid des Sängers zum eigenen zu machen.
Take these chains from my heart and set me free
You’ve grown cold and no longer care for me
All my faith in you is gone but the heartaches linger on.
Take these tears from my eyes and let me see
Just a spark of the love that used to be
If you love somebody new, let me find a new love, too
Take these chains from my heart and set me free…
„Ray Charles“, sagt Knochenkalle, „Ray Charles ist Seelengold.“ Dann beginnt er zu tanzen. Allein, immer allein, mit ausgestreckten Armen und geschlossenen Augen.
still & heimlich ist dies mein 400. beitrag geworden. ebenso still & heimlich hatte ich erst neulich den vorsatz gefasst, diese jubiläumszahl für etwas hoffnungsvoll richtungsweisendes zu verwenden – und es wieder komplett vergessen. aus versehen hat es aber doch noch geklappt.
dank ray & kalle, dem dreamteam.
Ich finde ja Knochenkalle hat mal wieder recht. Schön von ihm zu lesen, und das noch zu einem Jubiläum. Auf die nächsten 400. Liebe Grüße. Melanie
vielen lieben dank! und ich werd’s ausrichten 🙂
Ray Charles, von Platte. Da würde sogar ich tanzen …
Natürlich habe ich mir in der Tube als erstes das Lied dazugeholt. Das fehlende Knistern steigt aus der Erinnerung ein und dann sehe ich Knochenkalle tanzen. Ein Jubiläumstänzchen, wissend, wiegend und verheißungsvoll. Alles Liebe und viele Grüße, Deine Käthe.
❤
Selten hat jemand so schön auf den Punkt gebracht, wieso es so unglaublich schön ist eine Platte zu hören!:)
vielen lieben dank 🙂 platten sind wirklich was schönes (und ray charles erst).
Da muss ich dann wohl demnächst auch unbedingt mal reinhören. Freut mich sehr, dass dir mein Blog gefällt!!:)
Ich les zum ersten Mal was von Knochenkalle, du hast mein Herz damit schon erobert. So ein Typ, den man gerne als Seelenbruder haben möchte. Glückwunsch zum 400sten!
vielen dank!! oh ja, der knochenkalle… der begleitet mich jetzt schon eine weile mit seiner seelenwärme und seinen unbequemen wahrheiten. welcome to his world!