In den vergangenen fünf Tagen habe ich meinen ersten Urlaub seit über zwei Jahren genommen – ohne Internet, ohne Arbeit, ohne Begleitung. Na gut, das Manuskript zu „Drei Worte“ hatte ich dabei… aber sonst gar nichts. Nur Gummistiefel, dicke Socken und warme Pullover.
Und genau das war sehr großartig.
Einen Tag Sonne, einen Tag Novembergrau, einen Tag Wind, einen Tag so viel Nebel, das man die Hand nicht vor Augen sehen konnte.
Meine einzigen Programmpunkte: mindestens zwei Mal täglich ausschweifend spazierengehen und Strandgut sammeln, schreiben, lesen, essen, schlafen. Mit niemandem sprechen – außer hier und da ein paar freundliche Worte mit der älteren Dame, in deren Haus ich meine Ferienwohnung hatte.
- jede Menge Steine: schwarze, knallrote, weiße, schwarz-weiße, durchlöcherte, glatte… ich könnte daraus ein Haus bauen
- rostige Eisendinger mit Muschelgarnitur
- jeden Tag eine noch größere Austernmuschelschale
- mit Salzwasser vollgesogenes Treibholz, das zuerst ganz schwer und krümelig und dann beim Trocknen leicht wie Y-ton wurde
- eine fette, stachlige Raupe, die kein Hinten und kein Vorne hatte und bei der ich hoffentlich mit dem Wurf ins Meer die richtige Entscheidung traf (vielleicht war es auch ein tropischer Engerling im Wintermantel, der froh war, dem kalten Wasser entronnen zu sein)
- einen winzigen Seestern, der noch lebte und mit seinen kleinen Tentakeln ruderte und bei dessen Rettungsversuch ich ein feines Bad in der Nordsee nahm
- eine vom Salz fast vollständig zerfressene Konservendose, bei der nur noch die Rippen standen und bei deren Anblick ich irgendwie zu der Überzeugung kam, dass bei einer Apokalypse nicht die Menschen überleben werden
- Seehunde auf einer Sandbank
- Möwen, die sich im Flug mit den Füßen am Kinn kratzen
- einen Hund, der aussah wie ein Schaf, und ein Schaf, dass sich wälzenderweise den Rücken kratzte
- eine halbe Trilliarde Dünen-Kaninchen
- das Klingelschild meiner Vermieterin – was ja an sich nichts Besonderes ist, schließlich bin ich jeden Tag mindestens zwei Mal raus und rein zur Tür. Was mich rührte, war, dass sie – mit Namen Alice (also gutdeutsch „Alitze“, nicht etwa „Äliss“) – auf dem Klingelschild immer noch das „J.“ ihres vor Jahrzehnten verstorbenen Mannes stehenhat. In seiner Schrift.
Knochenkalle traf ich übrigens nicht. Sein Häuschen war verschlossen und die Werkstatt sorgsam ausgefegt, soweit ich das durchs Fenster sehen konnte. Einmal dachte ich, er wär es, der am Strand mit Watthosen und langen Angeln im Meer stand, aber ich irrte mich. Vielleicht braucht man bei Nebel keine Särge.
Stattdessen habe ich viel geschrieben. Und war zwei Mal im Badehaus, wo ich (wie auch am Strand) jede Menge Opis mit meiner Haarfarbe glücklich machte. Und nicht nur die: Ab der zweiten Begegnung riefen mir die Dachdecker von nebenan ein erfreutes „Moin!“ nach, ein Kapitänsmützenträger konnte vor Begeisterung über die „tollen Haare“ kaum noch weiterradeln und die komplette Freiwillige Feuerwehr war bei ihrem wöchentlichen Umtrunk im Old Smuggler Feuer und Flamme über das „lebende Streichholz“. Es fehlte wahrlich nicht viel und sie hätten mich gelöscht.
Vielen Dank, Jungs. Nach der „mir ejal, weeßte“-Mentalität Berlins tat es ganz gut, mal ein paar Tage Inselpunk zu sein.
Fein. Das füttert Herz und Seele. Tolle, stillie Bilder!
toll & still war es, tatsächlich auch ohne instagram-filtergemauschel 🙂
Das klingt, wie Urlaub sein sollte 🙂
oh ja. dabei ist die insel gar nicht soo hübsch. aber ich mag es da irgendwie.
Cool. Auf einen durchgepusteten Kopf und das entspannte Verschmelzen mit der Zeit 🙂
durchgepustet wurde ich, auf der fähre zurück hat es mich um ein haar nach unten in die miefige rentnerkantine geweht, aber ich war dann doch lieber stand- und sesshaft 😀
Norderney – zum Durchpusten genau richtig! 🙂
absolut.
🙂
Schön liest sich das. Geerdet und zum Vertikaldurchathmen* geeignet. Und nachträglich ein Hoooray von mir zum Druck! Ich war mal wieder zu spät für die Fete, Du warst schon weg. Grüße an das Flammenköpfchen, Deine Käthe.
*© Michael Feuser
oh, die fete kommt im märz – vielleicht schaffst du es ja dann? mal so’n kleiner berlintrip, hmhmhm?
Nach perfekten Urlaubstagen klingt das. Wunderinselbar!
das war es. hätte ruhig noch ein paar mehr genommen, aber dann wär ich wirklich bekannt gewesen wie ein bunter hund 🙂
ich musste eben so lachen ;D du schreibst Klasse und Deine Bilder sind noch klasserer! 😀 jetz haick Lust uff Meer! 🐳
ja, wa! meer geht immer. und vielen dank 😀
Von einem Schreibaufenthalt an der Nordsee träume ich auch! Leider habe ich es aus Wien etwas weiter … aber irgendwann klappt es!
ganz bestimmt, man muss nur wollen! kann da eine gemütliche kleine wohnung empfehlen… obwohl es sich auf einer alm sicher auch gut schreibt!