Der Mann der tausend Pseudonyme aka Thomas oder Tamerlan Papst wurde mir von seinem Mitbewohner mit einem Video empfohlen: Darin saß der Musiker aus Usbekistan mit seiner Gitarre in einer Küche und sang mit eindringlicher Stimme das sehnsüchtig-melancholische Lied von dem „der früher mit ihr war“. Liebe, Verzweiflung, Selbstironie – damit kriegt man mich ja immer.
Für alle die jetzt denken: „Höh? Kenn ich das Gesicht nicht irgendwoher?“ Gut möglich: Neben seiner Arbeit als Sänger, ist Tamerlan Papst auch als Schauspieler unterwegs – meistens in der Rolle des erfolglosen russischen Musikers oder als Sozialfall aus der Vorstadt. Seine letzte Rolle in einer ZDF-Produktion überführte ihn außerdem ins komplette Gegenteil seines eigenen Lebens: Er spielt darin einen russlanddeutschen Busfahrer, der versucht den konservativen Ansprüchen seiner Familie gerecht zu werden.
Im echten Leben hat Tamerlan Papst seinen ganz eigenen Kopf: Mit seinen ausführlichen Antworten sprengt er kurzerhand das 5-Fragen-Prinzip der Berliner (Un)Bekannten. Aber weil er nicht nur viel zu erzählen, sondern über Musik, Ziele und seine Heimat viel zu sagen hat, wollte ich diesmal nicht kürzen, sondern lieber genauer nachfragen:
Du singst „Russische Straßen- und Gefängnislieder auf Deutsch“ – sind es deine Texte oder Übersetzungen?
Als Erstes muss ich sagen, dass ich nicht ausschließlich Straßen- und Gefängnislieder singe. Ich schreibe oder arbeite meistens in Konzepten, und hatte viele akustische Programme unter verschiedenen Pseudonymen, vom Blues und sowjetischem Romance, bis zu Auftragsarbeiten und Filmmusik.
Das Projekt, das sich mit der kriminellen Thematik befasst, habe ich „Astap Bender“ getauft. Es ist mein Versuch, ein ganzes Genre zu übersetzen, das es in Deutschland gar nicht gibt. Die Idee dazu hatte ich, nach dem ich ein paar frühe Lieder von Vladimir Vysotsky übersetzt hatte. Später kamen eigene dazu, oder solche, die sich aus Fragmenten mehrerer Lieder zusammenfügen, von denen man als Kind ein paar Zeilen aufgeschnappt hat.
Im Grunde ist das auch typisch für diese Musik: Die Lieder wurden im Gefängnis geschrieben, mündlich überliefert und durch die Lager getragen. Bis sie in den Hinterhöfen der Stadt ankamen, wurde mal was vergessen und mal was dazu gedichtet.
Ostap Bender ist als Figur aus der russischen Literatur eine Rolle: Er steht ja für den Betrüger an sich. Neben seinem Namen trägst du seine Mütze und Schal – was bedeutet er für dich?
Ich bin sehr überrascht, dass Ostap Bender dir ein Begriff ist. Kompliment! Ich habe ja schon erwähnt, dass ich meistens in Konzepten arbeite: Ich versuche immer die passende Atmosphäre während meiner Auftritte zu erschaffen, um dem Publikum ein klares Bild zu vermitteln. Also suche ich nach allen Facetten, um das Bild perfekt zu machen. Ostap Bender ist der Betrüger und Ganove überhaupt – wer, wenn nicht er, könnte einem solchen Projekt wie den Straßen- und Gefängnisliedern ein Gesicht verleihen? Den ersten Buchstaben habe ich aus praktischen Gründen in A geändert. Das erleichtert zum Beispiel die Suche im Netz, im Schatten der großen Romanfigur.
Was verbindet dich mit den Straßen- und Gefängnisliedern?
Ich bin mit diesen Liedern groß geworden. Ich bezeichne meine Heimat immer als “Mein Herz von Asien“, da hängt sehr viel Liebe, aber auch Übel und Leid dran : Taschkent war in den 90ern ein heißes Pflaster. Dazu hat der Krieg im benachbarten Afghanistan, aber auch die Perestroika kräftig beigetragen. Taschkent ist eine Stadt voller Kriegsveteranen, Deserteure, Krüppel, Junkies, Drogenbarone und jeglicher Art von Kriminellen – es hat quasi an keinem Übel gefehlt.
Meine älteren Geschwister brachten Nirvana und Metallica ins Haus, vor dem Fenster hörte man aber ständig die Lieder über die schiefe Laufbahn. Ein Lied über die Tundra habe ich mir als Kleinkind zum Beispiel so gut gemerkt, dass ich – als ich vor einigen Monaten meine Erinnerung im Internet überprüfen wollte – zu meiner eigenen Überraschung die Variante, die bei uns im Süden üblich war, komplett mitsingen konnte.
Wie bist du in Berlin gelandet?
Diese Frage wirft gleich weitere Fragen auf: Warum bin ich in Usbekistan geboren? Über welche Stationen kam mein Vater ins Kinderheim nach Kasachstan? Was war vor dem Kaukasus, in der Zeit, in der mir seine Familiengeschichte nicht bekannt ist? Immigration ist immer ein schwieriges Thema und in meinem Fall ist es besonders heikel, da es sich nicht um Auswanderung der ersten Generation handelt. Die Odyssee der Familie meiner Mutter dauerte 250 Jahre und hatte ihren Ursprung in Deutschland.
Damit aus diesem Interview kein Roman wird, mache ich es kurz: Bis ich um die Jahrtausendwende wegen russlanddeutscher Wurzeln in einem Plattenbau der BRD landete, wurden von der Wolga bis zu den entferntesten sibirischen Verbannungsorten Stalins, viele Generationen meiner Vorfahren geboren und begraben.
Wie bist du zum Musikmachen gekommen?
Mein Vater hatte meinen 3. Geburtstag vergessen und damit auch, mir ein Geschenk zu besorgen. Als er dann in meinen Kindergeburtstag hineinplatzte, schenkte er mir die Rolling-Stones-Schallplatte “Aftermath“ und man zeigte mir, wie man den Plattenspieler zum Laufen bringt. Das beeinflusste meine ganze Kindheit: Statt Spielzeug habe ich mir fortan nur noch neues Vinyl gewünscht und statt mit Autos zu spielen, spielte ich vor dem Spiegel Rockstar. So entwickelte sich wohl so etwas wie ein Messias-Komplex. Klingt zwar etwas pathetisch, aber so war es.
Welche Instrumente gehören zu deinem Repertoire?
Die Stimme ist das wichtigste Instrument, egal, was ich mache. Sie übermittelt die Worte und die Geschichten, die eine zentrale Rolle spielen. Die Gitarre unterstreicht das Ganze, aber musikalisch spielt sie oft ähnliche oder sogar gleiche Akkorde. Mehr ist nicht notwendig – auch wenn mich manchmal trotzdem Freunde an Kontrabass, Klavier, Akkordeon oder zweiter Gitarre begleitet haben.
Wo kann man dich auftreten sehen bzw. deine Musik bekommen?
Am 21.08 spiele ich in der Z-Bar in Berlin-Mitte. Sonst kann man eine Mail an T.Papst@gmx.de schicken und sich für meinen Mail-Verteiler anmelden. Dann sage ich Bescheid, wenn was ansteht. Abmelden geht natürlich auch mit einem Satz per Mail. Will niemanden nerven.
Last, but not least: Hast du ein Ziel, das du mit deiner Musik erreichen möchtest?
Tatsächlich habe ich schon alles erreicht, was ich erreichen möchte. Dazu eine Anekdote aus dem Leben… Ich bin mal in einem sehr düsteren Kapitel meines Lebens im Internet auf einen russischen Musiker gestoßen: Seine Musik hat mich durch eine lange und schwere Zeit geleitet. Ich dachte, dass es niemanden auf der Welt gibt, mit dem mich etwas verbindet, doch in seiner Kunst fand ich meinen Seelenverwandten. Mein Spiegelbild, das mir zeigte dass ich nicht allein bin. Später habe ich erfahren, dass dieser Mensch niemals ein größeres Konzert gespielt hat oder in irgendeiner Weise populär war. Seine Lieder wurden in den 90ern in einer Küche mitgeschnitten und landeten später zufällig im Netz. Er starb an einer Leberzirrhose in Armut.
Wenn es also irgendjemandem eines Tages mit meiner Musik oder meinen Filmen genau so geht wie mir mit seiner, habe ich mein Ziel erreicht. Über jeden Erfolg darüber hinaus freue ich mich natürlich. Aber ich sage lieber “danke“, als “ich will“.
In diesem Sinne: danke dir für das Interview!
für alle, deren russisch besser ist als meins (muhahaha), gibt es hier noch ein interview vom funkhaus europa: https://www.youtube.com/watch?v=BdYgwUbxEOo
und jede menge free downloads gibt es hier (more to come): http://thomaspapst.bandcamp.com/
schönes Interview, saght ne Menge übder den Mann aus (oder etwa nicht, alles ironisch). Mich erinnert das an all die Wohnzimmerliedermacher in der ehemaligen Ex-DDR, nicht nur Biermann oder Pannachnund Kunert, auch all die Unbekannten. So stelle ich mir das im Nachhinein vor.
Bisschen dämlich finde ich allerdings die gewollt coole Selbststilisierung mit Fluppe inne Fresse beim Singen und Seemannsmütze und dickem Schal in der Küche. Das sieht dann doch ziemlich dick aufgetragen aus. Aber vielleicht habe ich die Ironie dahinter auch einfach nicht verstanden…
Liebe Grüsse
der schal und die mütze sind die symbole des ostap bender… und da die küche ja zu dem von ihm bewunderten, unbekannten musiker gehört, könnte ich mir vorstellen, dass die kippe auch so ein symbol ist.
zumindest hab ich tamerlan bisher nur als sehr besonnenen und eher bescheidenen menschen erlebt. aber… who knows 🙂
vielen dank, ich freu mich – er hat’s verdient 🙂
Das kann man wohl so singen.
hihi 😀
vielleicht begegnet man sich ja am donnerstag bei seiner lesungs-konzerteinlage?