Geschlechtsbesprechung einmal anders (hoffe ich): Ich hasse Genderdiskussionen, das weiß jeder, der mich kennt. Ich lese gern Bücher von männlichen Autoren, ich höre lieber Sänger als Sängerinnen und oft komme ich generell mit Männern besser klar.
Aber nachdem ich die Interviewanfragen zu diesem Artikel in der ersten Runde so richtig versaut (und genau dieselben dummen Fragen gestellt hatte, die die Psycholadies schon tausend Mal hören mussten), habe ich in der zweiten Runde kräftig dazugelernt, was Gesprächsführung, Information und Respekt vor dem Interviewpartner angeht. Außerdem an dieser Stelle ein dickes Kompliment an Kitty In A Casket und Shakey Sue von den Hellfreaks, die als Einzige völlig unverblümt und mutig aus dem Nähkästchen geplaudert haben – sowie an die Retarded Rats, die zwar nicht reden wollten, aber mich trotzdem über einiges aufgeklärt haben.
Und… zum allerersten Mal bin ich mit einer Story auf dem Cover des DYNAMITE! Ich freu mich riesig… und bin gespannt, ob von dem ein oder anderen Tarzan (oder gar einer Jane) trotz der so verträglich pinken Cupcake-Optik eine Allet-Scheißdreck-Reaktion bei mir landet. Bisher: nope.
Er Tarzan, sie Jane: Knapper lässt sich die gängige Rollenverteilung im Psychobilly kaum zusammenfassen. Ist das wirklich so oder sieht es nur so aus? Shakey Sue, Kitty, Tiger Lilly Marleen, Nurse Camy und Eva von Slut – fünf Frontfrauen über die Szene aus Frauensicht.
Die Anekdote von Hellfreaks-Sängerin Shakey Sue ersetzt eine ganze Wissenschaftsstudie zum Thema Gender im Psychobilly: „Bei einem Konzert hat ein Mann versucht, sich so auf die Bühne zu legen, dass er genau unter meinem Rock gucken konnte – der hat dann ganz ladylike meine Creeper auf seiner Nase zu spüren bekommen.“ Anders gesagt: Female Fronted Psychobilly wird zuerst mit den Augen gehört. Das ist das eine – aber das eigentliche Hauptproblem ist, dass sich der Begriff zur Abgrenzung eines eigenen Genres nicht einmal eignet.
Zahlenmäßig dominieren in Bands und Publikum wie fast überall in der Musikwelt die Männer, das ist Fakt. Als Minderheit bekommen die Frauen einen Gruppenstatus zugeschrieben. Und es herrscht fast einhellig die Meinung, dass alle Bands mit Sängerinnen gleich klingen. Ein gutes Beispiel für die erste und gleichzeitig gegen die zweite Annahme sind Compilations wie „Don’t Mess With The Girls“, die kürzlich auf Wolverine Records erschien: Hier wird rockiger Psychobilly von Night Nurse mit der punkigeren Hellfreaks-Variante, gemäßigtem Punkabilly von The Silver Shine und poppigem Horrorpunk von Miss Behave & The Caretakers zusammengeführt. Das männliche Gegenstück müsste dann wohl eine Compilation mit Volbeat, Mad Sin, Bad Religion und den Carburetors sein – schließlich stehen hier ohne Ausnahme Männer am Mikro.
„Wir werden immer mit anderen Bands wie Creepshow, Horrorpops oder Kitty In A Casket verglichen. In solchen Momenten ist uns klar, dass der Autor (der Review o. Ä., Anm. d. Red.) zu denen gehört, die Musik nicht hören und fühlen wollen – sondern sehen. Zumindest, solange Titten im Spiel sind“, sagt Shakey Sue, „jede Band – egal, was zwischen den Beinen hängt oder eben nicht hängt – hat ihr eigenes Genre. Und die wenigen Female Fronted Psychobands, die wir haben, gehören ganz sicherlich nicht in eine Schublade.“
Sexistische Booker?
Vor allem auf das Booking kann sich diese Schubladentheorie negativ auswirken, wie Tiger Lilly Marleen von Bonsai Kitten beschreibt: „Ich finde es schon merkwürdig, dass manche Veranstalter wohl generell einfach etwas gegen Bands haben, in denen Frauen mitspielen oder gar singen.“ Thee-Merry-Widows-Sängerin Eva von Slut kennt das: „Das Schlimmste ist, dass ich Booker getroffen habe, die meinten: ‚Ich brauch nicht noch ’ne Frauenband, ich hab für die Show schon eine Sängerin im Programm‘. Ich hab keine Ahnung, warum die Typen denken, dass wir alle gleich klingen!“
In der Szene wird oft sogar das handwerkliche Können der Ladys infrage gestellt, wie ein User auf wreckingpit.com exemplarisch formuliert: „Ich bin kein Sexist, aber die meisten Frauenbands sind mir einfach nicht gut genug.“ Für die erste reine Frauenband des Psychobilly mag dieses Urteil sogar gegolten haben: Obwohl das britische Quartett Dypsomaniaxe sogar vom damaligen Klingonz-Bassisten Tony Gilmore gefördert wurde, hat es keinen bleibenden Eindruck hinterlassen: „Die fanden fast alle schlecht, einfach, weil die Songs Müll waren“, hört man heute von Szenegängern. Nach ihrem Debüt „One Too Many“ (1992) lösten sich Dypso dann auch schon wieder auf. Seitdem wurden erfolgreiche Bands von Mad Marge & The Stonecutters, As Diabatz und Retarded Rats bis Night Nurse und HorrorPops gegründet. Zahlenmäßig sind Frauen gegenüber den Männern zwar immer noch in der Unterzahl, aber dennoch keine Kuriosität mehr.
Shakey Sue ärgert sich trotzdem regelmäßig über Interview-Ansätze wie „Fragen wir die Jungs über Musik und das Mädel über Kleidung und Schminktipps … meistens werden die falschen Fragen gestellt, wie z. B. ,Wie ist es als Frau in einer Band?‘ Dazu kann ich nur sagen: gut. Und das geht mir auf den Sack.“ Tiger Lilly Marleen ergänzt: „Das ‚Frontfrau-Ding‘ so sehr zu thematisieren, kommt mir ein bisschen so vor wie in den Siebzigerjahren, als Frauen am Steuer noch Thema für ganze Fernsehsendungen waren.“ Und das gemischte Berliner Trio Retarded Rats will sich in diesem Artikel sogar nicht einmal äußern, solange „offenbar nur Brüste und weniger die Musik im Vordergrund stehen.“ Doch genau das ist der Punkt: Solange bei der Außenwirkung in erster Linie die Weiblichkeit zählt, bleibt das Thema Frontfrau ein Thema – mag es noch so lästig sein.
Optik vs. Können
Dass die Optik vor dem Können abgefragt wird, nimmt Camy von den finnischen Night Nurse gelassen: „Ich hoffe, dass Sprüche wie ‚Die haben doch nur eine Frontfrau, damit sie auf Fotos geiler aussehen‘ nur die Meinung einzelner widerspiegeln und ziehe es vor zu denken, dass Leute mich auch als Musikerin schätzen.“ Eva von Slut wird da schon deutlicher: „Bei Männern fragen die Leute, wie gut die Musik ist. Bei einer Frauenband ist die erste Frage immer: Sind die heiß? Bei Frauen spielt die Optik eine viel größere Rolle als bei Männern.“ Kitty In A Casket formuliert es so: „Diverse Männer der Psychobilly-Szene sollen schon gemeint haben, dass Frauen lieber in der Küche bleiben sollen. Allerdings merkt man auch, dass sie nichts dagegen haben, wenn eine Frau dann leicht bekleidet auf der Bühne steht und sie sich daran ergötzen können.“
Apropos leichte Bekleidung – die körperbetonten Outfits auf und vor der Bühne sind ein Merkmal der Psycho-Szene und ziehen ihren Anteil Aufmerksamkeit auf sich. Kann eine Frau mit tiefem Dekolleté, Korsage oder Strapsen unter Hotpants oder kurzem Kleid also überhaupt verlangen, dass sie in erster Linie nicht als Sex-Objekt, sondern als Künstlerin betrachtet wird? Kitty gibt zu, dass die meisten Frontfrauen ihren Körper aktiv als Verkaufsargument nutzen; und wie gut sich mit dem Vamp-Image spielen lässt, zeigen Thee Merry Widows: „Diese Mädels mögen hübsch sein, aber hier ist Vorsicht angebracht: Sie werden dir die Scheiße aus dem Leib rocken! Bist du wirklich Manns genug?“, fragen sie auf ihrer Facebook-Seite. Pin-ups mit Gitarren wollen sie trotzdem nicht sein, sondern wegen ihrer Musik respektiert werden – und das gilt nicht nur für sie.
Ob Schlabberhosen statt Hotpants dafür sorgen würden, dass der Fokus sich rein auf die Musik richtet, sei dahingestellt. Frauen sind in der Szene selten – das zieht Aufmerksamkeit auf sich und kann als Alleinstellungsmerkmal durchaus funktionieren, wie Baby Rebbel von der brasilianischen All-Girls-Band As Diabatz gegenüber allreadable.com beschreibt: „Die Leute scheinen davon beeindruckt zu sein, dass wir Frauen sind. Also reagieren viele darauf, und das ist gut, weil es uns von den anderen Bands abgrenzt.“
„Ich sage ja nicht, dass eine Band sich nicht auch um ihr Aussehen kümmern soll. Da ich u. a. aus dem Hardcore komme, finde ich es sogar richtig erfrischend, dass die Frauen auch Frauen sein dürfen und es eine eigene weibliche Linie gibt, was das Styling angeht – und man nicht die männlichen Kollegen nachahmen muss, um als ‚true‘ zu gelten“, sagt Shakey Sue, „wenn dann aber in der Live-Review ein ganzer Absatz darüber steht, was für ein Top ich an hatte – who the fuck cares?“
Kitty sieht das ähnlich: „Es spricht meiner Meinung nach nichts dagegen, sich sexy und ästhetisch zu präsentieren, das machen doch unsere männlichen Kollegen genauso. Außerdem finde ich es sehr positiv, wenn man sich als Frau wohlfühlt und seinen Körper nicht versteckt“, bestätigt sie. Ihrer Ansicht nach sind es dabei nicht allein die Klamotten oder das Make-up, die dafür sorgen, wie sie auf der Bühne betrachtet wird: „Es liegt daran, wie man sich gibt, und auch wie man auf Anspielungen reagiert“, sagt Kitty. Und Anspielungen gibt es reichlich. Von Veranstaltern, die Flirten für inklusive halten, über den Fan, der sie wegen seines Fetischs für fettleibige Frauen dick zeichnen ließ, bis zu dem Typen, der sich ihren Kussabdruck auf den Hintern tätowierte und ihr davon ein Foto schickte: Shakey Sue hat eine Menge Geschichten auf Lager. „Belästigt werde ich ständig. Aber damit muss man umgehen können. Und wenn man damit umgehen kann, ist das sogar ganz lustig.“ Sie überlegt kurz, vielleicht denkt sie daran, dass der Bühnen-Spanner nach der Begegnung mit ihren Creepers vermutlich keine voyeuristischen Ambitionen mehr hegt, und fügt hinzu: „sehr lustig sogar.“ Außerdem sind es ja nicht nur die Sängerinnen, die vom Publikum mit Aufmerksamkeit bedacht werden: „Nur dass Männer das Interesse von Frauen eben fast nie als belästigend empfinden. Oder habt ihr je so was Ähnliches wie ‚Diese heiße Blonde bringt mir schon das dritte Bier nach der Show und will die ganze Zeit Kontakt zu mir. Oh nein, rette mich, wer kann!‘ von einem Mann gehört?“, lacht Shakey Sue.
Männer als Macher?
Beide Seiten haben dabei ihre Klischees: „Männer werden in allen Lebensbereichen als ‚Macher‘ betrachtet, während Frauen ermutigt werden, sich hübsch zu machen und eine Rolle als Objekt zu übernehmen. Das ist nun mal eine Tatsache“, sagt Eva von Slut. Shakey Sue fügt hinzu: „Nur, weil es einige gibt, die lieber eine passive Rolle spielen, werde ich diese Frauen nicht infrage stellen. Es ist ja auch nicht so, dass jeder Mann mit Flat auf dem Kopf ein Magazin herausgibt oder mit einer Band auf der Bühne steht.“
Die zahlenmäßige Überlegenheit der Männer ist allerdings Tatsache. „Auffällig ist, dass die meisten Bands mit Frauenanteil nur eine Frau in der Band haben – All-Female-Bands sind wirklich sehr rar“, sagt Kitty. Warum es in der Szene weniger aktive Frauen gibt, beantwortet Shakey Sue so: „Ich würde nie sagen, dass es in der Szene wenige Frauen gibt. Dass dennoch so wenige Musik machen, liegt sicherlich nicht daran, dass Frauen nicht ambitioniert sind! Aber ich denke, dass Rock’n’Roll-Lifestyle nicht jedermanns … ähm, jederfraus Sache ist.“ Sie lacht. „Wochen in einem Tourbus zu verbringen, mal ohne Dusch- oder Umziehmöglichkeit, ohne Schlaf, rein ins Ungewisse … darauf steht nicht jeder.“ Bei der generellen Lebensplanung greift dann zusätzlich die klassische Rollenverteilung: Frauen bleiben eher zuhause, während die Männer unabhängig von Familie und Beziehung weiter ihr Ding machen. „All das und die Aufmerksamkeit, die man als Musikerin auf sich zieht, sind nicht die besten Umstände, um eine harmonische Beziehung nebenbei führen zu können. Und wenn es um Familienplanung geht, ist das erst recht nicht kompatibel.“ Starker Tarzan gegen schwache Jane ist also nicht unbedingt der Grund.
Eva von Slut fügt hinzu: „Musik ist ein knallhartes Business, man muss viel Arbeit in eine Band stecken, bis es funktioniert. Außerdem muss man mit Kritik umgehen können. Dafür braucht man eine dicke Haut und ich hab Männer wie Frauen gesehen, die damit nicht zurechtkamen.“ Wer Erfolg haben will, darf nicht zu zart besaitet sein. So wird sich zwar über Anmachen und sture Booker beschwert, auf Nachfrage werden diese Probleme jedoch abgetan. Offen will sich dann niemand zum Thema Macho-Allüren äußern. Ist also doch alles nur halb so wild? Kitty vermutet, „dass sich hier wahrscheinlich viele nicht ehrlich äußern, da man ja ‚etwas Falsches‘ sagen und so der Szene missfallen könnte.“ Lieber wird relativiert oder ein Weg gefunden, damit umzugehen.
Denn dass im Psychobilly kein Platz für Feministinnen vom Alice-Schwarzer-Kaliber ist, ist offensichtlich: Von ihren Punk-Wurzeln hat die Szene vielleicht das Tempo übernommen, aber nicht das Prinzip des Anti-Sexismus. Über seine Rolle in der Szene entscheidet dabei jede(r) selbst, das hat mit der Emanzipation des gesamten „Genres“ Female Fronted Psychobilly wenig zu tun, was auch nicht gewollt ist: „Oh nein, bitte keine Frauenbewegung, das hört sich gruselig an“, wehrt Shakey Sue ab. Stattdessen wird auf ein anderes Punk-Prinzip verwiesen, nämlich das der Selbstbestimmung. „Frauen in der Szene befinden sich vielleicht gern in ihrer Rolle? Ich denke: Wie man sich bettet, so liegt man“, fasst Kitty zusammen, „ich bin wie ich bin, gebe mich auch so und lasse mich nicht verbiegen, auch wenn ich dadurch oft anecke. Wenn ‚in der Szene‘ jemand ein Problem damit hat, dass ich eine Frau bin und mich auf die Bühne stelle, dann ist es nicht meins.“
Gender-Klischees und Männerdomänen
Ob es den Frontfrauen passt oder nicht: Wie überall, wo Frauen in Männerdomänen unterwegs sind – sei es Politik, Wissenschaft oder Handwerk –, scheint es unmöglich, sich ganz von den Gender-Klischees zu lösen. Und zwar auch dann, wenn ihr Können in der Szene akzeptiert ist und sie sich mit den Männern nicht nur die Bühne, sondern ebenso die Vorbilder teilen. The Meteors, DAG, Batmobile, The Cramps – diese Gruppen sind ganz vorne mit dabei, unabhängig von der Frauenquote. Fragt man Musikerinnen nach weiblichen Idolen, werden ebenfalls immer dieselben Namen genannt: Gwen Stefani, Brody Dalle und Madonna – allesamt Sängerinnen mit Durchsetzungsvermögen. Wie es scheint, haben Female Fronted Psychobands also doch eine Gemeinsamkeit, die sie unabhängig vom Genre verbindet: Ihr Faible für Musik und die Cochones, selbst welche zu machen – Gender hin oder her.
Jaaa, endlich noch eine, die Genderdiskussionen hasst!
absolut. ich denke, da haben meine eltern tatsächlich einen guten 68er-job gemacht.
Sei mir nicht böse, aber „cojones“ ist spanisch und wird so geschrieben, nicht mit „ch“…
uh. oh, verdammt.
okay: dann hab ich doppelpremiere: ich aufm cover – mit dem dicksten schreibfehler meines lebens.
ayayay.
Danke für die tollen Fragen! 🙂 Also Kompliment geht an dich! 🙂 *Kitty
danke dir!! es war eine besonders große freude mit dir und sue!
Kitty ❤
das kannst du aber laut sagen! nicht nur eine gute musikerin, sondern auch sehr klug und reflektiert. und recht mutig, was dieses doch immer etwas sensible thema angeht. chapeau.