Reden ist Silber, Fegen ist Gold.

Hals über Kopf habe ich meine Sachen gepackt und bin ans Meer gefahren. Habe am Strand gesessen, die Füße vergraben im kühlen Sand, der sich von den Zehen her langsam erwärmte, und auf den Sonnenaufgang gewartet. Auf den Sonnenaufgang und darauf, dass in dem kleinen Haus hinter mir endlich das Licht anging.

Kurz vor halb fünf, als der Morgen noch grau war, konnte ich endlich hinüber gehen und klopfen, an Knochenkalles Küchentür.

Man macht das im Norden so: Man geht nicht zur Haustür und klingelt. Die Haustür ist für den Arzt und den Pfarrer, und wenn die gegangen sind, dann schiebt man den Sarg über die Stufen. Besuch nimmt die Dielentür. Sie ist immer offen und die im Dunkeln endlos erscheinende Diele riecht nach Kühen, auch wenn der Stall längst leer ist.

Ich taste mich an der Wand entlang zur Küchentür und klopfe. „Komm rein“, sagt Knochenkalle und nickt, als er mich sieht. Als wäre ich nur eben draußen gewesen, Milchkannen aufstellen oder die Särge abstauben, stellt er eine zweite Teetasse auf die zerkerbte Platte des Küchentischs und dann sitzen wir da. Pusten in den starken schwarzen Tee, in dem die Kluntjes knistern, und Knochenkalle hört sich die Geschichte meiner Flucht an. Hört zu, und sagt nichts.

Um 7 steht er auf, räumt sorgfältig unsere Tassen in die Spüle und sagt: „Du kannst mir in der Werkstatt helfen.“ Wir gehen durch das Zwielicht des Stalls nach draußen, hier riecht es kaum noch nach Vieh, der ausgetretene Backsteinboden ist sauber gefegt und kein Strohhalm knirscht unter unseren Füßen.

In der Werkstatt drückt mir Kalle einen Besen in die Hand und deutet auf die Späne neben der Hobelbank: „Fegen“, sagt er und das tue ich. Sorgfältig, bis kein Splitter mehr unter den Sohlen quietscht. Dann halte ich es nicht mehr aus: „Willst du gar nichts dazu sagen?“, frage ich.

Knochenkalle legt sein Schnitzmesser und eine halbfertige Rose aus Holz beiseite. Er richtet sich auf vom Sitzen und streckt sich über der Werkbank. „Was willst du denn hören?“, fragt er, „du bist nicht zum ersten Mal ans Meer gekommen. Du erzählst mir den Grund und ich höre zu. Ich habe dir alles gesagt, was ich weiß.“

„Ich soll dir helfen, hast du gesagt“, unterbreche ich, „fegen, hast du gesagt, und sonst nichts.“ – „Ganz genau“, nickt er, „Reden ist nicht alles, hier kannst du dich nützlicher machen.“ Ich schaue ihn an, zum ersten Mal genügen mir seine Weisheiten nicht. Er schüttelt den Kopf und lächelt: „Du denkst, du weißt nicht, wovon ich rede.“ Er zuckt die Schultern: „Menschen hören nicht gern, wenn man ihnen sagt, dass sie nichts Neues zu bieten haben. Aber es ist so, Menschen sind so: Sie machen immer dieselben Fehler, aber wehe, einer kommt und sagt ihnen, wie langweilig die Wahrheit ist.“

Der Besen wird schwer in meiner Hand, plötzlich merke ich, dass ich nicht geschlafen habe und die ganze Nacht lang war wie die Nächte davor. „Am Ende“, sagt Knochenkalle, „willst du doch daran denken, wie oft du gelacht hast und nicht daran, wie oft du hättest weinen sollen. Und bis dahin: kräftig durchfegen, mein Mädchen. Das hilft.“

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29 Gedanken zu “Reden ist Silber, Fegen ist Gold.

  1. westendstorie schreibt:

    Wenn man sie doch nur jedes Mal als Fehler erkennen würde. Der rote Alarmknopf wird zu gern niedergekloppt, beiseite geschoben. Ausgeknipst.
    Wie gut das es den Knochenkalle am wunderschönen Meere gibt.

  2. kaetheknobloch schreibt:

    Späne und Splitter wegfegen. So einfach und manchmal so schwer. Ich glaube, wir müssen alle etwas knochenkalliger denken, dann liegt uns die Einfachheit näher. Schönstgrüße, meine Liebe und danke für den Silbersilbentext.

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