Eigenlob stinkt, aber trotzdem: Auf meine erste große Story im DYNAMITE bin ich stolz wie Bolle. Auf 5 Seiten durfte ich die turbulente Geschichte der wohl bekanntesten Surf-Band der DDR rekonstruieren und sprach mit Frontman Henry ‚Cottn‘ Kotowski über das 50-jährige Bühnenjubiläum.
Besonders die Recherchen zum Thema Rock’n’Roll in der DDR waren spannend – denn offiziell war so gut wie alles verboten, und inoffiziell gab es trotzdem alles, was das Rebellenohr zu hören wünschte. Ein Salut für ein halbes Jahrhundert Durchhaltevermögen gegen Staat, Kontrolle und die Hochs & Tiefs des Lebens.
In der DDR gelten die sogenannten Big-Beat-Bands als üble Verbrecher und jeder Auftritt als Aufruf zu politischem Widerstand. Die SED fährt harte Geschütze zur Gegenwehr auf – das bekommen auch die Sputniks als Vorreiter der Bewegung zu spüren. Die 1962 gegründete Band wird umbenannt, verboten, neu gegründet: Ihr im April erschienenes Doppel-Album „50 Years Later“ versammelt alle Aufnahmen aus Ostzeiten bis heute. Zeit für eine Rückschau auf ein halbes Jahrhundert zwischen Karl-Marx-Stadt und Heavy Metal auf dem Wacken: Waren die Sputniks Rebellen oder Musiker aus Leidenschaft?
Die Geschichte der Sputniks ist untrennbar mit der bürgerliche Enge der Nachkriegszeit verbunden – und zwar im Westen wie im Osten: Ein gepflegtes Äußeres, Höflichkeit und Zurückhaltung sollen die Jugend zieren. Während die westlichen Anhänger der „Hottentottenmusik“ nur gegen den Widerstand der Eltern und Lehrer zu kämpfen haben, macht die SED im Osten Jagd auf alles, was nach „kapitalistischer Dekadenz“ und ihrer „Hotmusik“ riecht.
Hier begibt sich auf dünnes Eis, wer Rock’n’Roller sein will: Die „ohrenbeleidigenden Jazzverfälschungen aller Art“, wie Ulbricht sie nennt, können höchstens heimlich auf den West-Frequenzen von Radio Luxemburg oder dem Soldatensendern von AFN und RIAS gehört werden. Während Westjugendliche ihre Freizeit im Plattenladen verbringen, gemeinsam vorm Kofferradio hocken oder auf der Kirmes Eddie Cochran & Co. lauschen, bleibt im Osten nur die Heimlichkeit – und das Selbermachen.
In dieser ambivalenten Zeit, zwischen Rebellion und Repression, gründet der Ost-Berliner Schlagzeuger Henry „Cott’n“ Kotowski seine Telstars.
Die Beatles des Ostens
Mit Bernd Emich am Bass sowie Gerd Hertel und Achim Döring an den Gitarren sorgt Cott’n für ausverkaufte Säle. Bald gelten die Telstars im legendären Treptower Twistkeller nicht nur als Hausband, sondern als „Beatles des Ostens“: Bei ihren Auftritten stehen die Leute bis auf die Straße Schlange. So werden die Telstars zum Vorreiter der Big-Beat-Bewegung – dieser Begriff ist die offizielle Bezeichnung für den DDR-Rock’n’Roll.
Angebot, Nachfrage und Kontrolle
Rein westlich orientierte Rock’n’Roll-Kapellen sind undenkbar – und ebenso unmöglich ist es, bei Auftritten auf die gängigen Titel von Chuck Berry oder Bill Haley zu verzichten, denn genau die will das Publikum hören. Also versucht die SED es mit bestmöglicher Kontrolle: Vor Auftritten müssen Bands sogenannte AWA-Kontrollbögen abliefern, die mindestens zu 60% aus sauberen Ost-Titeln wie „Sag Mir, Wo Du Stehst“ von Hartmut König zu bestehen haben. Maximal 40% West-Einfluss sind zugelassen.
Diese Regel gilt als das wohl am häufigsten verletzte Gesetz der DDR: Live spielen die Bands, was das Publikum will. Wenn ein Kontrolleur auftaucht, sind mit dem Veranstalter Codes ausgemacht, damit die Band schnell auf einen der genehmigten Ostschlager umschwenken kann.
Schlager statt Rock’n‘Roll
Neben den Repressalien versucht die SED ihr Bestes, um ihr Image als Spaßbremse aufzupolieren: „Wir sind doch nicht gegen Schlager, wir sind gegen westlichen Kitsch“, sagt Walter Ulbricht auf der Bitterfelder Kulturkonferenz im April 1959, „beweisen wir doch, dass wir bessere Schlager komponieren können als der Westen.“ Also setzt die Obrigkeit verstärkt auf die Ausbildung systemkonformer Künstler, die in dem Nachwuchsstudio der Plattenfirma AMIGA sogar eigene Aufnahmen machen können.
Plattenvertrag? Nur gegen Namensänderung
So beginnt sich das große Plattenlabel auch für den handgemachten Gitarrensound von Cott’n und seiner Band zu interessieren: 1963 steht plötzlich der Übertragungswagen des Labels vor der Tür und nimmt einen Live-Mitschnitt der Telstars-Show auf. Aus diesem Material wird 1964 die erste Single veröffentlicht. Cott’n erinnert sich im DYNAMITE-Interview: „Aus einem kleinen Club heraus entdeckt und von AMIGA groß rausgebracht zu werden, das war wie von Null auf Hundert!“
Was auffällt: Beide Titel sind instrumental und die Band nennt sich nun Die Sputniks – nach dem bekannten Satelliten also, dem Stolz der sowjetischen Raumfahrt. Cott’ns englischer Gesang kam bei der SED-Obrigkeit schlecht an – um bei AMIGA veröffentlicht zu werden, muss die Band ab sofort nicht nur auf Texte verzichten, sondern auch einer Umbenennung zustimmen. „Egal, der Name passte zu uns“, sagt Cott’n knapp 40 Jahre später dem Tagesspiegel – Hauptsache, sie durften weiterspielen.
Das Knistern in der Luft
So beginnt die kurze, aber heiße Erfolgsphase der Sputniks: Sie geben Gastspiele in diversen TV-Produktionen und wirken auch im Programm von „Hallo Dr. Watson“ mit, das im Friedrichstadtpalast aufgeführt wird. Dazu kommen umjubelte Auftritte in Osteuropa. Außerdem komponieren sie zahlreiche Filmmusiken für die DEFA und dürfen sogar Studioproduktionen aufnehmen.
Als Hertel und Döhring 1965 zum Dienst in der Nationalen Volksarmee antreten müssen, werden sie durch Peter Nehls an der Gitarre und Benno Pennsler am Bass ersetzt. Später schließt sich auch Michael Fritzen der Band an, die mit ihrer instrumentalen Surf-Schiene weiterhin großartige Erfolge feiert und zur Entwicklung der Big-Beat-Kultur beiträgt. Allein in Ostberlin gibt es nun über 300 der sogenannten „Gitarrengruppen“. Doch Rock’n’Roll wäre nicht Rock’n’Roll, wenn alles friedlich vor sich ginge: Im Osten wie im Westen lassen Jugendkrawalle nicht lange auf sich warten.
Krawalle und Systemkritik
Ihren Höhepunkt erreichen die Unruhen im September 1965: Bei einem Konzert der Rolling Stones in der West-Berliner Waldbühne kommt es zu Ausschreitungen. Auch bei einem Sputniks-Konzert im Oktober desselben Jahres finden in Karl-Marx-Stadt handfeste Auseinandersetzungen zwischen Rock’n’Roll-Fans und DDR-Ordnungshütern statt.
Die Sputniks müssen sich in einem offenen Brief in der Parteizeitung Neues Deutschland rechtfertigen, doch statt sich reumütig zu zeigen, drehen sie den Spieß kurzerhand um und lassen organisatorische Missstände durchblicken: „Es ist wohl klar, dass bei Veranstaltungen, zu denen Hunderte von Jugendlichen kommen, keine organisatorischen Fehler auftreten dürfen, die die Durchführung der Veranstaltung gefährden, verzögern oder gar unmöglich machen.“
Das Ende der Liberalität
Danach „wurde von staatlicher Seite her versucht, uns vor den politischen Karren zu spannen“, erinnert sich Cott’n im DYNAMITE-Gespräch. Doch die Sputniks lehnen ab, denn Cott’n hat eine klare Antwort, wenn es um die politische Relevanz seiner Musik geht: „Da war kein rebellischer Hintergrund. Die Politik hatte für uns keinen Stellenwert. Wir wollten einfach nur Musik machen!“
Genau das dürfen sie aber schon bald nicht mehr: Die DDR-Führung nimmt die Krawalle zum Anlass, ihre Haltung gegenüber der Beat-Bewegung und vor allem gegenüber den mittlerweile unkontrollierbaren Fanmassen grundlegend zu ändern.
Nieder mit Nihilismus und Pornografie
Auf die Big-Beat-Bands prasseln willkürlich verhängte Auftrittsverbote und Restriktionen nieder – die Sputniks bilden hier keine Ausnahme. Dass die Zugpferde der Big-Beat-Szene offiziell nur instrumental unterwegs sind und mit textlicher „Propaganda“ nichts zu schaffen haben, hilft nicht: Auch bei ihren Konzerten tauchen zunehmend Spitzel auf, für jeden nicht genehmigten Titel müssen sie empfindliche Bußgelder zahlen und im Dezember 1966 steht die Band schließlich vor dem Aus. „Wir sind offiziell im Zuge der Kulturreform vom 11. Plenum verboten worden, was einem Berufsverbot gleich kam“, erzählt Cott’n im Interview.
Das 11. Plenum des SED-Zentralkomitees im Dezember 1965 war ursprünglich als Wirtschaftsgipfel geplant. Tatsächlich jedoch sorgt es in der Jugend- und Kulturpolitik für einen wahren Kahlschlag: Honecker wirft Künstlern und Kreativen u. a. Nihilismus und Pornografie vor; das führt nicht nur zur Zwangsauflösung etlicher Gitarrengruppen, sondern auch zum Verbot von Filmen, Theaterstücken und Büchern. Mit diesem Kahlschlag beendet das Plenum die Phase der Liberalisierung, die für das kurzzeitige Aufblühen des Ost-Rock’n’Rolls gesorgt hatte.
Auf der Flucht vor der Zensur
Für Musiker wie Cott’n beginnt nach diesem Verbot eine Zeit der Wanderschaft von Band zu Band, immer auf der Flucht vor der Zensur. Dabei zeigt er weder damals noch heute die Attitüde eines glühenden Revolutionärs: Er will einfach nur Musik machen. „Ich wollte einfach mehr wissen und das Internationale kennenlernen. Aber das hat man damals nicht verstanden in der Ostzone“, sagt er dem DYNAMITE.
Nach der Auflösung der Sputniks wechselt er zunächst zur Uwe-Schikora-Band in Dresden, doch auch hier schlägt bald das staatliche Verbot zu. Es folgen die Klaus-Lenz-Big-Band und Tourneen mit Edda Cameron und Manfred Krug. 1969 gründet er das Henry-Kotowski-Sixtett. Mit dabei: Harry Jeske und Peter Meyer von den späteren Puhdys und Herbert Dreilich von Karat. Außerdem kann Cott’n Soloerfolge als Schlagersänger verzeichnen. Es folgen das Peter & Cott’n-Duo, Gastspiele bei Modern Soul und im Gerd-Michaelis-Chor und 1978 die Gründung von Cott’n & Co., der ersten DDR-Country-Band.
Bloß raus hier!
1984 schließlich verlässt Cott’n die DDR und siedelt nach München über. Hier tingelt er wieder durch verschiedene Bands, aber für den Lebensunterhalt reicht das meist nicht: „Ein paar Tiefen waren natürlich dabei und da musste ich Sachen machen, die mir nicht so von der Hand gingen.“ Dazu gehören Episoden in der Gastronomie und als Lehrer in einer Musikschule. „Aber Musik war immer mein Ding, eigentlich war ich mein Leben lang Musiker“, bestätigt er im DYNAMITE.
RE-Entry: Zurück zu den Wurzeln
Ein Jahrzehnt später und fünf Jahre nach dem Mauerfall kehrt Cott’n nach Berlin zurück und seine Sputniks sitzen ihm immer noch als fixe Idee im Hinterkopf. 1996 ist es dann endlich soweit: Mit der Maxi-Single „RE-Entry“ melden sich die Sputniks zurück – Cott’n und Bernd Emich übertragen ihren Original-Sound mit neuer Besetzung auf Songs von Limp Bizkit bis Megadeath. Dem Instrumental bleiben sie ebenfalls treu: „Ich war immer ein textunsicherer Typ. Das Instrumentale ist meine Leidenschaft.“ Dabei versucht er nach wie vor, den Spuren der Shadows und Ventures zu folgen. Nachdem die offizielle Veröffentlichung von „RE-Entry“ sogar im Fernsehen übertragen worden war, verschwinden die Sputniks jedoch wieder in der Versenkung. Erst 2002 erscheint „Big Beat III – Surf, Twang & Rock’n’Roll“ als erstes großes Album – und damit wohl als spätestes Debüt der Musikgeschichte, denn immerhin ist die Bandgründung zu diesem Zeitpunkt knapp 40 Jahre her.
Metalbeats over Wacken
Es beginnt eine neue Phase der Erfolgs: Obwohl Emich im Jahr 2002 verstirbt, gehen die Sputniks zum ersten Mal jenseits des Eisernen Vorhangs auf Tour. Dabei sorgen sie 2005 auch für einen Überraschungsmoment auf dem weltgrößten Heavy-Metal-Festival in Wacken.
Wie immer singen die Sputniks kein einziges Wort – nur für ihre Version des Motörhead-Songs „Ace Of Spades“ holen sie sich Unterstützung von Onkel Tom, dem Sänger der Thrashmetal-Combo Sodom, und werden dafür von über 35.000 Zuschauern gefeiert.
Übrigens: Mehr zum Thema findet sich übrigens in diesem spannenden Buch: „DDR Rock & Pop“ von Bernd Lindner.
2 Gedanken zu “DYNAMITE #88: Sputniks oder Die vergessenen Helden des Big Beat.”