Das Schnitzel oder Warum meine Familie nie irgendwas gewinnt.

Meine Urgroßeltern hatten zwei Kinder: einen Jungen und ein Mädchen, das meine Oma ist. Ob die Familie davor bei Wetten, Pferderennen oder im Armdrücken erfolgreich war, ist nicht bekannt – klar ist nur: Die Göttin des (Spiel-)Glücks entschied sich, ab dieser Generation nur meinem Großonkel und seinen Nachfahren treu zu sein.

Meine Oma spielt leidenschaftlich Bingo (ja, diese undurchschaubare Türchensendung mit dem dicken Kerl vom NDR). Jeden Sonntag fehlt ihr „nur eine einzige Zahl!“, während die Tochter des Großonkels hier und da mal eine Reise oder sonstige Petitessen gewinnt.

Früher spielte sie mit meinem Opa Lotto, aber da tippt mittlerweile nur noch einer meiner Großeltern – der andere packt den Einsatz direkt in eine Spardose. Auch der Gewinner spart (falls er was kriegt, falls!) und am Ende des Jahres wird verglichen, wer mehr Geld zusammenbekommen hat. Drei Mal darf man raten, wer dann besser dasteht.

Nun ja. Die Geschichte, die ich eigentlich erzählen will, handelt nicht vom Pech im Spiel, sondern vom Glück in der Liebe – denn die geht ja bekanntlich durch den Magen.

Mein Opa ist Kölner und kam als britischer Kriegsgefangener nach Hannover. Die Stadt war damals noch nicht ohne Charakter (das kam erst beim Wiederaufbau), aber voller Trümmer: Die Altstadt war zu 90% zerstört, insgesamt war fast die Hälfte der Stadt nur noch ein Schutthaufen. Das war die Umgebung, in der meine Großeltern sich kennenlernten. Wie, das soll ein anderes Mal erzählt werden.

Auf jeden Fall war das junge Paar eines Abends verabredet. Mein Opa war zu früh dran, vertrat sich noch ein wenig die Füße und geriet – mehr oder minder per Zufall – in eine Lotterieveranstaltung. Und zwar als einziger Mann, rund um ihn rangelten Hausfrauen jeden Alters um die Lose. Ohne zu wissen, was es zu gewinnen gab, kaufte auch mein Opa ein Los – und gewann.

Ein Seufzen ging durch die versammelten Hausfrauen: Heute würde es kein gutes Abendessen geben, denn der Hauptgewinn war ein frischpaniertes, heißgebratenes Schnitzel, das jetzt meinem staunenden Opa überreicht wurde.

Man stelle sich das vor: Mein Opa, ein knapp 20-jähriger, immer hungriger Kriegsgefangener, mit einem Riesenschnitzel! Was hätte er meiner endlich eintreffenden Oma Romantischeres sagen können als: „Komm, das teilen wir“…? Meine Oma, die auch mit süßen 18 immer noch eine Naschkatze war, wusste diese Geste zu schätzen: Inzwischen sind sie 65 Jahre verheiratet.

Meine Familie hat seitdem bei einer Verlosung oder einem Gewinnspiel nie mehr gewonnen. Meine Mutter macht mit Begeisterung Kreuzworträtsel und dergleichen, aber ich kriege ja nicht mal beim Krökeln (hannöversch für Kickern) ein Rundes ins Eckige.

Nur mein Opa gewinnt immer noch, nämlich beim Skat. Als inzwischen meist ältester Teilnehmer bei Dorfturnieren räumt er regelmäßig den Pott leer; bzw. füllt den heimischen Topf, denn auch hier gibt es meist Essbares zu gewinnen: Die Hähnchen und Schweinebraten, die er so als moderner Jäger nach Hause getragen hat, sind unzählbar. Und er sagt noch heute: „Komm, das teilen wir.“

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29 Gedanken zu “Das Schnitzel oder Warum meine Familie nie irgendwas gewinnt.

    • rocknroulette schreibt:

      ich bin ein großer fan von dialekten. mein opa spricht ja köllsch, aber das kann ich mir leider viel schlechter merken als die „ein s-tudent mit s-tulpens-tiefeln“-ausdrücke meiner oma (soll mal einer sagen, in hannover spräche man reines hochdeutsch….)

  1. kaetheknobloch schreibt:

    Sie haben einen famosen Kommdasteilenwiropa, Verehrteste. Wird immer rarer diese Spezies. Aber Sie haben’s wohl in den Genen, schließlich teilen Sie großzügig Ihre Fabulösgeschichten mit uns. Erneut ein Dickdankeschönst dafür, Ihre Frau Knobloch.

    • rocknroulette schreibt:

      das projekt würde ich unterstützen! die kennenlerngeschichte muss ich mir noch mal erzählen lassen, da waren nämlich auch ein uropa und ein fußball mit im spiel (im wahrsten sinne des wortes).

  2. Curima schreibt:

    Ach, wie großartig. Das erinnert mich doch gleich an die Geschichte von meinem Großonkel und der Bratwurst…
    Ich glaub, solche Familiengeschichten muss man wirklich aufschreiben. Schön, dass du das machst. 🙂

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