Dies ist mein vorerst letztes Interview im DYNAMITE. Deswegen ein paar Worte vorweg, die nichts mit den skandinavischen Blood-and-Horror-Psychos zu tun haben:
Seitdem das Magazin vor etwa zwei Jahren an den Huber-Verlag verkauft wurde, hat sich dort eine ganze Menge verändert: Es hat sich aus der Rockabilly- und Psychobilly-Nische zu einer Art Gegenentwurf des Rolling Stone entwickelt und bemüht sich nun mehr und mehr, auch die Bereiche Ska, Soul und Country abzudecken. Der Fokus verschiebt sich außerdem Richtung Szene-Komplettabdeckung: Statt überwiegend Musik zu präsentieren, wird zunehmend mit Mode, Make-up und Pin-up-Contests gearbeitet.
Das mag besonders für viele Ladies der optikbewussten Szene ein Gewinn sein – ich vermisse die coolen Jungs auf dem Cover schon, genauso wie ein feingeschnürtes Paket „meiner“ Musik im Inneren. So oder so: Ich arbeite gern für das DYNAMITE. Ich habe Bands kennengelernt, die ich nie selbst gefunden hätte, und jeder zweite Review bereichert meine Plattensammlung aufs Schönste – so übrigens auch das Night-Nurse-Album.
Lange Rede, kurzer Sinn: Die feste Redaktion in Bonn übernimmt mehr Aufgaben, was für mich als Schreiber (sehr viel) weniger Geld bedeutet. Ich musste entscheiden, ob ich weiter versuchen will, mit dem Musikjournalismus Geld zu verdienen oder daraus ein teures Hobby machen will. Der Mittelweg: ein cooles Hobby. Ab sofort gibt’s nur noch Reviews, vielleicht Storys und Konzertberichte.
Diese Band hat ihre Existenz einer blutigen Miss Frankenstein zu verdanken: Als Nurse Camy in einem verlassenen Krankenhaus an abgewrackten Oldschool-Punks und Psychos ihre blutigen Experiment durchführt, überleben nur wenige… Um genau zu sein: vier. Und mit denen veröffentlicht sie nun ihr erstes Album.
DYNAMITE: Lassen wir mal die blutigen Legenden beiseite: Welche Idee steckt hinter der Bandgründung?
Tom: Ich hab weibliche Sängerinnen im Rockabilly, Blues oder Soul immer großartig gefunden. Und tatsächlich wollte ich eigentlich damals für Jim Dandy’s Revenge, unser Langzeitbandprojekt, bloß eine Sängerin für ein paar Duette suchen. Daraus wurde dann doch nichts. Stattdessen haben wir mit der Band eine längere Pause eingelegt – bis ich eine ziemlich witzige Anzeige entdeckte, in der eine Sängerin Mitglieder für eine Band gesucht hat. Es war ein typischer Camy-Text, schnelles Tempo und rasanter Ausdruck. Darauf musste ich einfach antworten! Danach hat’s noch fast ein Jahr gedauert, bis wir uns endlich getroffen haben, aber sie machte gleich einen wahnsinnigen Eindruck auf mich. Sie platzt vor Energie und außerdem hat sie wirklich eine sehr spezielle Stimme. Und ehe wir es uns versahen, hatten wir eine neue Leadsängerin, landeten im Studio und standen wieder auf der Bühne. Camy kam einfach gerade zur richtigen Zeit, als wir sowieso darüber nachdachten, mal was Neues zu probieren. Schließlich bleibt nichts für immer, wie es ist – und wenn du weitermachen willst, musst du einfach auch mal was ganz anderes wagen.
Camy: Das Herz und der Spirit der Band ist immer noch derselbe. Aber ich denke, ansonsten hat sich eine Menge getan, seitdem Tom angefangen hat, Songs speziell für mich zu schreiben.
Tom: Ja, an den Songs und den Lyrics hat sich so viel geändert, dass es auch Sinn machte, den Namen der Band zu ändern. Night Nurse steht für das Bandkonzept, was wir aktuell umsetzen.
DYNAMITE: Um was geht es denn jetzt in euren Songs?
Tom: Die meisten Songs fangen als Liebeslieder an. Doch irgendwie kippen sie dann an einem bestimmten Punkt und verwandeln sich in etwas anderes. Ich lasse den Stücken beim Schreiben ihren Lauf. Manchmal verändern sie sich dann sogar mehrmals, wie zum Beispiel „Where Shadows Go“, der sich plötzlich zu einer Geschichte über eine mordende Krankenschwester entwickelte.
DYNAMITE: Was mögt ihr dabei so an Horror, Blut und Eingeweiden?
Camy: Oh, das kommt ganz auf die Sauce an… (lacht) Es hängt tatsächlich davon ab, wie ernst man das nehmen will. Alte Horrorfilme zum Beispiel sind eine wunderschöne Sache.
DYNAMITE: War Psychobilly deswegen immer eure Leidenschaft?
Camy: Ich höre alle Arten von Musik, das hängt von meiner Laune ab. Vor allem die echten und rauen Sachen aus dem Underground, aber ich mag Musik – vom Blues bis zum finnischen Schlager. Für mich gibt es dieses starre Schwarz-Weiß-Schema der Genres nicht. Es gibt einfach so viel, wovon man lernen kann! Aber was Psychobilly angeht – ich höre diese Musik, seitdem ich achtzehn bin. Davor gab es Metal, Hard Rock und – natürlich – eine Rockabilly-Phase. Aber bei Psychobilly war es Liebe auf den ersten Blick. Es macht mich komplett glücklich, weil die Phantasie da keine Grenzen kennt und es sich selbst nicht zu ernst nimmt. Und was den Punk angeht, so ist der einfach Teil meines täglichen Lebens.
Tom: Ich mag Rockabilly, Big Bands und Sixties-Garage… aber ich bin absolut verrückt nach allem, was irgendwie mit Psychobilly zu tun hat. Und zwar schon immer, seit den frühen Achtzigern, als die ersten Psycho-Bands mit ihrem Wahnsinns-Kontrabass-Sound aufgetaucht sind. Das ist der Grund, warum ich Bass spiele.
Hynde: Bei mir gehören definitiv The Hellacopters und DAD zu den Alltime-Favorites… und alles, bei dem per Auto-Tune nachkorrigiert wurde, finde ich pauschal zum Kotzen.
DYNAMITE: Habt ihr Helden oder Vorbilder, die ihr besonders schätzt?
Camy: Das wären viel zu viele Namen, um sie hier alle einzeln aufzuzählen!
Hynde: Ich müsste wohl T-Bone sagen – ich mag einfach alle Bands, in denen er spielt (lacht).
Tom: (lacht) Hah! Wir sind zwar nicht die Band of Brothers, aber die Band of Heroes! Aber dann dürfen wir unseren Gitarrenhelden Mela nicht vergessen: Er spielt die Leadgitarre auf dem neuen Album und mindestens dafür hat er den Heldentitel absolut verdient!
DYNAMITE: Ist es als Sängerin schwierig, in der männerdominierten Psycho-Szene akzeptiert zu werden, Camy?
Camy: Dominieren die wirklich? Keine Ahnung, ich bin irgendwie immer unter Männern, auch bei meinen Hobbies oder unter meinen Freunden. Wieso sollte mich das stören oder gar unterdrücken? Für mich ist es ganz normal und sogar einfach, mit Männern zu arbeiten. Die Band ist wie eine Familie. Klar, ich mag auch Mädchensachen, aber ich bin und bleibe ein echter Wildfang. Ich fahre eine Harley Davidson, ich liebe amerikanische Straßenkreuzer und ich kann Traktor fahren.
DYNAMITE: Mittlerweile gibt es ja auch etliche female-fronted Bands. Was unterscheidet euch von denen?
Tom: Ja, mittlerweile gibt es da einige Bands, aber das ist nicht das Ding. Wir haben eine Sängerin mit einer besonderen Persönlichkeit, wirklich gute Musiker, tanzbare Songs und einfach Bock auf diese Art von Musik! Und außerdem… Camy kickt die anderen Weiber aus der Szene doch mit links in die Ecke. Catfight!
Camy: Unsere Musik ist einfach unser ganz eigenes Ding. Sie ist anders. Im Psychobilly zu singen ist eine echte Herausforderung, gerade, wenn du eine Frau bist. Da musst du einfach eine bestimmte Form von Glaubwürdigkeit mitbringen, um die Songs authentisch rüberzubringen. Und die Band hat eine breite Spanne von Erfahrung in verschiedenen Stilen vorzuweisen, so dass wirklich jeder an unserer Musik Gefallen finden kann. Sie ist nicht nur für Psychos gemacht.
DYNAMITE: Wie liefen die Aufnahmen und das Songwriting zum Album?
Tom: Ich hatte über die Jahre schon ein paar Songs geschrieben, die sich dann für dieses Album als geeignet erwiesen. Aufgenommen haben wir das Ganze in einer Garage, weil wir dieses Do-it-yourself-Ding einfach am liebsten machen. Vielleicht ist das auch der Grund, warum Jim Dandy’s Revenge nie mal irgendwas Richtiges zustande gebracht bzw. beendet hat… Aber diesmal haben wir’s irgendwie geschafft – Camy hat uns ordentlich in den Arsch getreten!
Camy: Ich hab auch eine Menge gelernt! Ich hatte eine ziemliche Reise hinter mir, die ganzen Jahre, in denen ich keine Musik gemacht habe. Aber nachdem ich zur Band kam, haben wir praktisch sofort angefangen, Songs aufzunehmen. Schon allein die Proben waren wahnsinnig intensiv. Alles war komplett neu und herausfordernd, aber die Jungs waren die besten Tutoren, die ich mir zu dem Zeitpunkt hätte wünschen können. Tom hat ein Riesentalent und hat mich auf die richtige Spur gebracht.
DYNAMITE: Warst du zum ersten Mal im Studio?
Camy: Ich habe zum allerersten Mal etwas aufgenommen. Als Teenager hatte ich eine Mädchenband namens Dustheads. Ich habe gesungen und Schlagzeug gespielt. Insgesamt gab es die Band fünf Jahre – wir haben Gigs gespielt und sogar an dem Finnischen Rockwettbewerb rockSM 94 teilgenommen. Wir sind sogar ziemlich weit gekommen und hatten wir ein paar Demos gemacht, aber das war ja was ganz anderes.
DYNAMITE: Was bedeutet Musikmachen für euch?
Tom: Ich mache Musik hauptsächlich, weil es mir selber Spaß macht. Aber was die Band angeht, will ich dann doch sehen, wie weit wir kommen können.
Hynde: Musik hilft mir dabei, verrückt zu bleiben. Halt, nein! Ich meinte: nicht verrückt zu werden!
DYNAMITE: Was macht ihr, wenn ihr nicht zusammen Musik macht?
Camy: Arbeiten. Mit meiner Familie zusammen sein. Ich spiele Bass und Schlagzeug und kümmere mich um meine Pferde und Hunde. Im Sommer fahre ich Motorrad.
Hynde: Ich spiele in anderen Bands, da bin ich rund um die Uhr beschäftigt. Ich spiele und singe nebenbei nach wie vor immer noch bei der Roots-Rock-Band Devil Dog Road. T-Bone ist da auch als Drummer dabei.
DYNAMITE: Tattoos gehören heute ja praktisch zur Grundausstattung von Musikern. Habt ihr welche?
Camy: Ich hab Tattoos, diese Art von Kunst fand ich schon immer spannend. Tatsächlich sind sie mein Job und täglich Brot. Und eine der Sachen, in denen ich auf jeden Fall richtig gut sein will.
Hynde: Nachdem du das Erste hast machen lassen, bist du süchtig. Zumindest ist das bei mir so. Und ich würde noch viel mehr Tattoo-Kunst „sammeln”, wenn ich das Geld dafür hätte.
Tom: Ich hab keins. Vermutlich ist das einfach nicht so mein Ding.
DYNAMITE: Was war euer erstes Tattoo?
Camy: Eine schwarze Flamme auf dem Hals. Manche meiner Tattoos haben schon eine Bedeutung für mich, aber vor allem ist Haut einfach für Tattoos gemacht!
Hynde: Mein erstes Tattoo war ein Adler mit einem allsehenden Auge. Aber es war viel zu klein und wurde später mit einem Bullenschädel überdeckt, den mir Kurtis Gibson in Orange, Kalifornien gemacht hat. Kurtis ist ein großartiger Künstler, er hat mir schon zwei Tattoos gestochen. Tatsächlich haben all meine Tattoos eine besondere Bedeutung für mich. Ich hab sie mir nicht machen lassen, um bloß ein paar Bilder auf meinem Körper zu haben! Zum Beispiel habe ich mir 2012 in Osaka, Japan die Große Welle von Kanagawa stechen lassen – weil ich das Meer liebe und immer in seiner Nähe gewohnt habe. Und ich muss sagen, dass Komachi von Chopstick Tattoo damit einen verdammt guten Job gemacht hat.
DYNAMITE: Aber der Look ist ja nicht alles… könntet ihr euch vorstellen, eure Musik in schicken Anzügen genauso authentisch rüberzubringen?
Camy: Klar könnten wir!
Tom: Ja. Wir waren immer Psychobilly-Dandys und das werden wir immer sein.
Hynde: Oh, sind wir? (lacht) Ich bin nicht so der Anzug-Typ.
DYNAMITE: Was sind eure Pläne für die Zukunft? Auf eurer Homepage sucht ihr ja quasi händeringend nach Gigs.
Tom: Psychobilly war vor ein paar Jahren wahnsinnig angesagt in Finnland. Da war richtig was los, aber mittlerweile hat sich das ziemlich beruhigt. Hold Fast, Mavericks und Jungle Records bringen immer noch großartige Sachen raus, aber Finnland ist einfach ein kleines Land. Im Februar kommen wir nach Deutschland und ich hoffe wirklich, dass Leute den Weg zu uns finden, wenn sie das Album gehört haben. Diese Band ist unser Ding und unsere große Leidenschaft!
Camy: Ich kann’s gar nicht abwarten, endlich nach Deutschland zu kommen.
DYNAMITE: Wo würdet ihr gern mal auftreten?
Tom: Unsere Reise hat ja erst begonnen. Wir hoffen auf größere Auftritte und Festivals. Es gibt so großartige Venues in Deutschland, wo wir gern mal spielen würden. Ari und ich haben uns auch schon tausend Mal über das Festival in Pineda unterhalten – Psychobilly und Beachpartys sind nämlich eine unschlagbare Kombination. Also, Pineda: Wenn ihr das lest – wir sind billig, richtig fies und wir kommen!
Camy: Japan wäre auch schön. Als neue Band ist es immer schwer, an Gigs zu kommen. Wir müssen hart daran arbeiten, dass man uns wahrnimmt. Also: Hallo Leute, schafft uns Gigs ran und meldet euch bei Torpedo Bookings!
Hynde: Und checkt unsere Webseite!
Tom: (lacht) Und kauft das Album! Es erscheint am 24.1.2014!
DYNAMITE: Ihr seid ja schon mit bekannten Acts wie Rezurex aufgetreten…
Tom: Oh, das war noch mit Jim Dandy’s Revenge, 2008 im Club Sin. Da waren auch Gutter Demons und Stellar Corpses mit dabei. Alles tolle Bands und wir hatten richtig Spaß. Als Night Nurse und mit Camy als Frontfrau haben wir bis jetzt nur kleinere Gigs gespielt, aber davon haben wir jeden einzelnen genossen.
DYNAMITE: Was bringt euch jeden Morgen dazu, aufzustehen?
Camy: Der Wecker!
Hynde: Meine Gitarre. Die will jeden Tag gespielt werden. Und die verdammte Bank, die will, dass ich mein Haus abzahle (lacht).
DYNAMITE: Was sind eure Ziele? Mit der Band und für euch persönlich?
Camy: Ich bin stolz, wenn ich feststelle, dass ich etwas gelernt habe. Oder ein Ziel erreicht habe. Aber das passiert nicht so oft (lacht). Ich möchte etwas hinterlassen, für das man sich an uns erinnert. Das ist so mein Traum – und ohne Träume kannst du nichts erreichen. … und ganz generell: am Leben bleiben! (lacht)
Hynde: Ich will der Gitarrist der besten Psycho-Horror-Punk-Band der Welt sein! Oh, Moment… das hab ich ja schon geschafft!
DYNAMITE: Wir sind auf den Live-Beweis gespannt. Viel Erfolg und danke für eure Zeit!
Hörprobe
Ich bin normalerweise nicht so für Frauenstimmen – es sei denn, sie sind dark, gewaltig und erschüttern einen bis ins Mark. Nurse Camy hat alles davon zu bieten: