Musik ist ein Wegwerfartikel geworden: Anklicken, konsumieren, vergessen – das Beispiel Spotify zeigt, wie unser heutiges Hörverhalten die Musikbranche durch neue Chancen und Risiken verändert.
Spotify ist das Whatsapp der Streamingdienste. Fragt man die Nutzer nach den Vorteilen, fallen immer wieder die Worte „bequem“, „mobil“ und „unkompliziert“: „Inzwischen höre ich fast ausschließlich Spotify. CDs sind so unpraktisch im Vergleich und am Rechner, iPad oder iPhone bin ich ja eh“, sagt eine Nutzerin. Ein anderer lobt besonders die Vielseitigkeit des Angebots und die Möglichkeit, die Musik mit anderen zu teilen: „Ich habe durch die Empfehlungen viele neue Bands entdeckt und kann meine Funde oder Lieblingsstücke mit einem Klick über Facebook und andere Nutzer teilen.“
Der Songwriter John Allen schätzt diese Vorteile ebenfalls: „Als Nutzer ist es super, weil ich die Möglichkeit habe, unkompliziert in Musiker rein zu hören und zu schauen, ob mir mehr als die Single gefällt oder so. Als Künstler hoffe ich natürlich, genau davon zu profitieren: Leute hören bei mir rein oder lesen, dass andere mich hören und lernen so meine Musik kennen.“ Die Hamburger Indie-Band Ocean Stereo denkt ebenfalls daran, aus diesen Gründen bei Spotify einzusteigen: „Der Vorteil ist die extrem leicht erreichbare Reichweite. Man kann die Musik schnell an den Nutzer bringen, ohne „Subunternehmer“ wie Labels etc.“, sagt Sänger Andreas.
Die Reichweite spielt für die Rockabilly-Combo der Hellabama Honky Tonks ebenfalls eine große Rolle: Drummer Max hofft, „dass sich durch Spotify unsere Musik noch besser verbreitet, dass auch viele Menschen weltweit uns hören können!“
Schöne neue Streaming-Welt?
Das klingt nach Idealismus, nach Freiheit und dem unbegrenzten Zugriff auf das, was an Musik bisher nur stationär im Plattenschrank oder in ausgewählten Ausschnitten auf dem MP3-Player oder iPod zu haben war. Was geschieht, sobald man nun die Begriffe Business und Geld dazu nimmt?
Wenn man als Nutzer die regelmäßigen Werbeeinblendungen satt hat, kann man für 4,99 € pro Monat auf einen Premium-Account wechseln oder für 9,99 € sogar mit dem Smartphone streamen. Etwa 20% der Hörer zahlen diese Beiträge – oft aus dem Wunsch heraus, den Bands etwas zurückzugeben: „Ich habe einen Premium-Account, weil ich auch wenigstens ein bisschen was zahlen wollte. Vielleicht das schlechte Gewissen nach Jahrzehnten.“, sagt eine Nutzerin. Ein anderer formuliert: „Ich finde es unfair, gerade kleinen Bands ihre Musik für lau aus der Tasche zu ziehen, das ist wie CDs schwarzbrennen.“ Was die wenigsten wissen, ist, wie viel von ihrem Abo-Beitrag letztlich bei den Musikern landet.
Das Berliner Hip-Hop-Duo Dangaa und Kasim flucht: „Leute können für lau unsere Mucke anhören. Vorteil: Mehr Leute hören tatsächlich mal rein. Nachteil: Die Ausschüttung ist für’n Arsch.“
In der Tat werden Musiker mit Spotify alles andere als reich, wie etwa das Beispiel des Songs „Don’t You Get Too Drunk To Fuck“ der Punkabilly-Band Bonsai Kitten zeigt: Der Titel wurde bisher gut 15.000 Mal angeklickt und für 100 Plays gibt es etwa 37 Cent – vorausgesetzt, jeder User besäße einen bezahlten Premium-Account. Da dies nur bei jedem 5. Hörer der Fall ist, müssen von den theoretisch erspielten 55,50 € noch 80% abgezogen werden: Es bleiben 11,10 €. Von diesen Einnahmen gehen 30% – also 3,33 € – auf das Konto von des Anbieters Spotify. Im Portemonnaie von Bonsai Kitten landen schließlich 7,77 €: Die vier Berliner können ihren 15.000sten Klick also mit jeweils fast zwei Kugeln Eis feiern.
Money makes the rockin‘ world go round
Dennoch wird derzeit bei Spotify fast alle Musik der Welt angeboten – zumindest erscheint es so. Erst auf den zweiten Blick entdeckt man, dass große Bands wie etwa Die Ärzte, Die Toten Hosen, AC/DC oder The Beatles nicht vertreten sind.
Leider waren für diesen Blogeintrag von den entsprechenden Labels keine Statements zu bekommen. Eins steht jedoch fest: Diese Bands haben es nicht mehr nötig, per Stream auf sich aufmerksam zu machen. Die Ärzte verzichten bei ihren Alben zwar auf Kopierschutz (frei nach dem Motto: Den kann man sowieso umgehen, wir machen uns doch nicht lächerlich!), im Internet halten sie sich jedoch aus dem gesamten Streaming-Angebot heraus. Außerdem herrscht im Netz einhellig die Meinung, dass die genannten Musiker ihre Musik lieber als CD oder Download verkaufen wollen.
Bei AC/DC & Co. wissen die meisten Käufer vermutlich auch, was sie erwartet. Aber wie sieht es bei Newcomern und kleinen Bands aus? Kann Spotify hier nicht nur beim Entdecken, sondern auch beim Verkauf helfen? „Das neue Dylan-Album kaufe ich sowieso, aber bei Bands, von denen ich noch nie was gehört habe, kaufe ich nicht direkt das Album – lieber erst mal bei Spotify reinhören und dann entscheiden.“, bestätigt eine Nutzerin. Ihrer Sammelleidenschaft für Platten tut das Streamen dabei keinen Abbruch: „Dadurch kaufe ich weder mehr noch weniger Alben.“ Auch John Allen als stolzer Besitzer einer analogen Musiksammlung betrachtet Streaming eher als Ergänzung: „Bei Gefallen gehöre ich dann doch zu denen, die die Songs dann auf irgendeine Art und Weise kaufen, bei iTunes oder als LP.“
Warum Geiz ungeil ist
Die Bands selbst äußern sich ebenfalls skeptisch, wenn es um die Verkaufsförderung via Stream geht: „Das hat natürlich auch gleich der Nachteil, dass diese Leute wohl unsere Musik nicht zusätzlich in CD-Form kaufen werden. Somit fallen unsere Einnahmen an CDs komplett weg“, sagt der Hellabama-Honky-Tonks-Drummer.
Für Bonsai-Kitten-Frontfrau Tiger Lilly Marleen ist das Grund genug, das Anfang 2014 erscheinende, neue Album nicht mehr hochzuladen: „Spotify profitiert durch die Arbeit der Musiker, erzielt u.a. durch Werbeeinnahmen gute Gewinne und zahlt diese aber nicht angemessen an die eigentlichen Schaffenden aus. Da wollen wir nicht mitmachen!“ Es wäre zu befürchten, dass in Zukunft weitere Bands dies zum Anlass nehmen, ihre Alben wieder aus dem Angebot zu nehmen.
Damit würde sich die musikalische Bandbreite bei Spotify verringern und der Streamingdienst einen Hauptteil seiner Attraktivität verlieren. Dementsprechend äußert sich Ken Parks, Chief Content Officer bei Spotify in einem Interview gegenüber The Age zur neuen Ära im Musikbusiness: „Users are going to stream: you’re not going to put the genie back into the bottle.“ Mit einem Blick auf den eigenen Umsatz träumt er dabei von einem zweiten Goldenen Zeitalter – wenn der Nutzer doch nur endlich zahlen würde: „If we can take people who weren’t paying anything and get them to pay £120 a year – which is twice the amount of the average downloader or CD buyer – this industry can grow bigger than it ever was.”
Für etwas zu zahlen, was auch umsonst verfügbar ist, ist das eine. Tiger Lilly Marleen kritisiert aber noch einen weiteren Punkt, der über den finanziellen Aspekt hinausgeht: „Spotify schadet meiner Meinung nach den Musikern auf lange Sicht, weil es den Wert der Musik inflationiert und vermittelt, dass Musik immer gratis überall zu haben sei.“ Das bemängelt auch John Allen: „Vielleicht bin ich altmodisch, aber wenn ich eine Platte kaufe, ganz bewusst, weil ich den Künstler oder die Band mag oder einen bestimmten Song, dann freue ich mich darauf in den Laden zu gehen, ich suche die Platte, ich fahre nach Hause… das ist alles ein gewisser – wohl altmodischer – Prozess. Im Streamingzeitalter klicke ich einfach nur den Song an… mir persönlich fehlt da etwas die Magie und ich habe manchmal den Eindruck, durch die Fülle an Musik wird diese etwas beliebig.“
Mit Magie gegen die Beliebigkeit
Dennoch ist Streaming die Zukunft des Musikbusiness, da sind sich die meisten Hörer und Musiker einig. John Allen macht dabei zur Bedingung, dass „man anfängt Künstler ordentlich in die Gewinne zu involvieren. Es sollte eine Verdienststruktur geben, bei der auch der Künstler Gewinn herausziehen kann. Nur so könnte sich das dauerhaft durchsetzen.“ Ein Modell wäre hier natürlich die Einschränkung der kostenlosen Verfügbarkeit – etwa die Bereitstellung einer gewisser Anzahl Gratis-Stunden, bevor auf einen Premium-Account gewechselt werden muss.
John Allen hofft dennoch auf den traditionellen Sammler: „Selbst dann würde ich argumentieren, dass es viele gibt, die – wie ich – Booklet, Artwork etc. schätzen und daher lieber zur CD oder LP greifen. Ich sehe das Streaming – auch in der Zukunft – eher als praktisches Beiwerk.“
Ein befragter Nutzer schlägt jedoch vor, beim Streamen Vergnügen und Verdienst zu kombinieren: „Vielleicht könnte man eine Verkaufsplattform anschließen – nach dem Motto: Du hast dieses Album jetzt 10x gehört, wir bieten dir die Möglichkeit, es zum speziellen Spotify-Preis von XX Euro vergünstigt zu erwerben. Vielleicht könnten die Künstler sogar Specials anbieten, z.B. ein Extra wie einen Bonus-Track oder ein Alternativtake, das man nur bekommt, wenn man das Album über Spotify erwirbt. So kaufe ich ja fast nichts mehr, aber wenn man sowas bequem einbinden würde, könnte mir vorstellen, dass das was bringt.“
Und tatsächlich ließe sich so vielleicht beides kombinieren: Bequemlichkeit, Verfügbarkeit und Vielfalt für den Nutzer mit einem angemessenen Verdienst und einfach vergrößerter Reichweite für die Bands.
Something Special
Ein bequemes Extra könnte den Umsatz ankurbeln machen – auch wenn manche, wie etwa Simon Sledgeman von der Leipziger Metalband Triekonos sowieso am liebsten ganz ohne Internetfirlefanz auskommen würden: „Die Zukunft liegt nach meiner Meinung bei Livekonzerten: Konzerte sind zum Anfassen, Feiern und Genießen. Der Rest ist Nebensache. Gute Livebands sind mehr Wert als alles, was es im Internet gibt.“
Doch vielleicht lässt sich das Besondere, das Künstler bei Livekonzerten mit ihrer Präsenz schaffen, ja über eine Zusatzfunktion, über ein Special-Gimmick, auch in die virtuelle Welt übertragen. „Ich denke schon, dass das Zeitalter der guten alten CD bald vorbei sein wird, genau wie es den Schallplatten und Kassetten ergangen ist“, vermutet der Hellabama-Honky-Tonks-Drummer. Aber wer sagt, dass der Weg hier zu Ende sein muss?
Auf Piraterie hat sich Spotify bereits positiv ausgewirkt – ein special effect könnte dafür sorgen, diese positive Wirkung noch weiter zu streuen und gleichzeitig der von Tiger Lilly Marleen beklagten Inflation der Musik etwas entgegensetzen: Vielfalt und unbegrenzte Verfügbarkeit könnten so durch geschätzte Kostbarkeit ergänzt werden.
Und das wäre doch ein guter Deal.
keine 8 euro für 15.000 plays.. pfff…
eben 🙂 das ist wirklich ganz schön mager. so betrachtet, ist spotify eben „nur“ ein promo-instrument, wenn auch das beste aus hörersicht.
PS: ziemlich coole bilder in deinem blog. die gefallen mir sehr, mal was anderes als den üblichen instakrams.
danke!
spannender artikel (fast) zum thema: http://www.schleckysilberstein.com/2014/01/forgotify-spielt-nur-songs-die-nie-ein-mensch-zuvor-gehort-hat/