Berlin für RocknRolla: Boogie & Rock’n’Roll am Mittwoch im Café Keese.

Von außen sieht es aus wie eine typische Berliner Kneipe: Schriftzug in Oldschool-Gelb, Herbst-Deko im verhängten Panoramafenster und eine schlichte Glastür mit Rauchfang – pardon, Windfang. Beim ersten Besuch fragt man sich noch, ob man hier wirklich richtig sein soll – Eingeweihte dagegen wissen: dahinter wartet das sprichwörtliche Tanzcafé-Nirwana.

(c) Café Keese

(c) Café Keese

Die Garderobenabgabe hinter dem Eingang ist Pflicht (genauso wie später die fuffzich Pfennich für die Toilettendame), aber dann… eröffnet sich ein unerwartet schöner Saal mit kleinen Tischen, rotgepolstertem Gestühl und – das Beste! – einer zirkusartig lichterkettenüberstrahlten Tanzfläche. Mit Discokugel und Balustrade. Ein fast surreal anmutendes Ambiente mit rot-goldenen Tapeten, roten Vorhängen, dezenter Beleuchtung, Gemälden und liebevoller Saisondeko – ein bisschen wie ein gewisses Etablissement zu Goldenen Zeiten. Aber „honi soit qui mal y pense“: Beschämt sei, wer schlecht darüber denkt! Das ist das Motto des Tanzcafés – und es stimmt. Hier geht es parallelweltlich zu und zwar ganz zauberhaft.

Zur Charlottenburger Parallelwelt gehören auch Tischtelefone und Neonschriftzüge, die abwechselnd zur „Herren“- oder „Damenwahl“ auffordern. Und ein ganz besonderes Kellner-Original – oder eher ein echter „Herr Ober“. Neulingen sei geraten: Nicht an den Tresen gehen und selbst bestellen („an’n Tisch komm‘ is meen Job!“), nicht selbst nach der Flasche greifen („einschenk’n is ooch meen Job!“) und ‘nen Zwacken mehr einstecken: Zwei kleine Alster kosten hier knapp 9 Euro. Aber zum einen ist der Eintritt frei und zum anderen: wo wird man sonst noch mit Handschlag und „Na, meine Süßen, wat darf’s denn sein?“ begrüßt?

Schließlich lautet Wahlspruch Nr. 2: „Reizend, aber kultiviert“ – und so ist auch das Publikum. Das Durchschnittsalter läge ohne die Truppe der Nachwuchs-Rock’n’Roller zwischen 25 und 35 irgendwo bei… vermutlich 60. Aber glücklichen 60, denn was da an reiferen Paaren über die Tanzfläche swingt und foxtrottet, hat pure Lebensfreude im Gesicht.

(c) Café Keese

(c) Café Keese

Und anders als bei den oft coolness- und statusgeprägten Veranstaltungen der Neo-Rockabillys mischen sich die Gruppen hier auch schon mal. Zum Beispiel, wenn die älteren Damen sich das Strollertanzen abschauen oder die Rockabellas der Nachwuchsgeneration von Kavalieren der alten Schule zu „Ein Stern, der deinen Namen trägt“ über das knarrende Parkett gedreht-und-gedreht-und-gedreht werden. Die Musik kommt von DJ Hari-Bo – neben reichlich Jive und Stroll hat er hier auch  Schlager im Gepäck, aber selbst Marianne Rosenberg gewinnt zwischen Plüsch und Lampions an Charme.

Zur Geschichte: Das Café Keese in Berlin wurde 1966 eröffnet und gehörte ursprünglich zum knapp 20 Jahre älteren, gleichnamigen und berühmt-berüchtigten Tanzcafé in Hamburg. Der Saal bietet Sitzplätze für 600 Leute und ist (Achtung, Zitat!) „genau das Richtige für alle im mittleren Alter.“ Für Filmaufnahmen und Fotoshootings übrigens auch – zum Beispiel hat hier Kevin Spacey als Bobby Darin für „Beyond The Sea“ (2004) gedreht.

1989 verkaufte Bernhard Keese das Tanzcafé an Familie Ludwig – sie führen das Lokal charmant und ursprünglich weiter wie eh und je. Die revolutionärste Neuerung war die Installation von Tischtelefonen Anfang der 90er… nein. Das ist gelogen: Wirklich revolutionär war tatsächlich die Erfindung der Damenwahl aka „Ball paradox“, die im Café Keese ihren Ursprung hat. Damals ein Skandal – heute Standard für die junge Generation: Im Gegensatz zum älteren Publikum ist die Clique der jungen Tänzer nicht nur kleiner, sondern es herrscht auch deutlicher Herrenmangel. Da hilft nur ein „Darf ich bitten…?“ – oder die Wieder-Einführung von Tanzkärtchen als Alternative zum Tischtelefon.

Langweilig wird es hier auf jeden Fall nie: Vom Salsaabend über Discofox-Party bis zur Silvestersause ist im Tanzcafé Keese übrigens immer etwas los.

Bismarckstraße 108, zwischen dem U-Bahnhof Ernst-Reuter-Platz und Deutsche Oper. Täglich geöffnet – Boogie & Rock’n’Roll gibt es immer am ersten Mittwoch im Monat. Der nächste Termin: 06. November 2013. Eintritt frei.

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