Ein Vollblutmusiker erzählt – Teil 2: Von Flaming Star zu Boppin‘ B. Die Bandbiografie.
In Teil 1 hat Harald Hertel berichtet, wie er zum Rock’n’Roll kam. Heute kennen und schätzen ihn vor allem die Berliner auf diversen Bühnen von Swing bis Blues bis Rockabilly. Aber hier hat alles auch mal klein angefangen. Als zweiter Sänger, DIY-Gitarrespielen und auf Straßenfesten. Von ganz klein ging es dann zum ganz großen Ehrgeiz mit Boppin‘ B – und ganz oben drüber immer stand von Anfang an die authentische Musik. Und natürlich auch die perfekte Frisur!
Wann hast du dann mit dem selbst Musikmachen angefangen?
1981 habe ich meinem ersten Rock’n’Roll-Tanzkurs so ein paar Rock’n’Roller kennengelernt. Die waren jünger, aber schon original gestylt. Der Tanzkurs war übrigens gleich mit Akrobatik, das war damals so in, mit einem ganz furchtbaren, schrecklich anzusehenden Grundschritt, so ein Gehüpfe. Da konnten wir nach drei Monaten alle möglichen Überwürfe, das war unglaublich, aber wir waren 14 und fit und sportlich. Meine Schwester hat da noch mitgemacht und weil sie und ihre Freundin dabei waren, haben dann meine beste Freunde auch mitgemacht, obwohl sie mit Rock’n’Roll gar nicht so richtig was am Hut hatten. Es war total lustig, aber der Tanzlehrer war leider ein Hallodri (lacht). Der war dann auf einmal verschwunden und dann gab es keinen Tanzkurs mehr.
Und wie ging es vom Tanzen zur Band weiter?
Die Leute, die ich da kennengelernt hatte, hatten zwei Jahre später eine eigene Band, The Jumping Jacks mit Schlagzeug und zwei Gitarren. Irgendein Spezi von denen hat dann eine große Party veranstaltet. Da haben die gespielt und noch eine Band, die Blue Moon Boys aus Aschaffenburg – und die waren echt der Vollhammer war für mich, weil alle so authentisch gestylt waren. Ich hab mir für die Party einen Anzug geliehen und dann die Tolle… ich hatte ja schon ein bisschen Übung, aber meine ersten Tollen waren ein Desaster. Die klappten immer zusammen. Pomade kannten wir nicht, woher sollten wir Pomade nehmen? Und der ganze andere Kack, Gel und sowas, hat ja nicht gehalten. Da haben wir Zuckerwasser genommen und je nachdem pappte das dann aber zusammen. Da musste man schon tricky-tricky rangehen und jedenfalls waren die Haare dann wirklich wie Stroh.
… und dann schön zusammen mit dem Schweiß…
Boah, ja, genau (lacht). Tja, mit den Haaren bzw. der Tolle, das war ein langer Weg… Im Frühherbst 1979 war ich bei der Friseuse, zu der mich meine Mutter geschickt hatte. Ich hatte ‘ne Jeans und ‘ne Jeansjacke an und das hat sie vielleicht inspiriert: Nach dem Schneiden hat sie mir die Haare zurückgekämmt und siehe da: Im Spiegel war ein kleiner Elvis! Ich konnte es gar nicht fassen und bin stolz wie Oskar rumgerannt. Hat nur einen halben Tag gehalten und ich hab‘s dann nicht mehr so hingekriegt, leider.
Ich hatte das den Winter vorher schon probiert – man nannte das damals mangels Ahnung John-Travolta-Frisur. Natürlich von dem Film „Grease“ her, der Ende 1978 in den Kinos bei uns war – ich war da nicht drin gewesen, hab immer nur von den Klassenkameradinnen gehört, wie toll der sein soll. Aber die Travolta-Frisur auf dem Bild in der geliehenen Bravo war natürlich eine Inspiration. Als ich Anfang Februar 1979 anlässlich der Geburtstagsparty meines besten Freundes probiert hab, mir selbige zu machen, kam da nix bei raus. Wir hatten weder Schaumfestiger, noch Haargel, noch Haarcreme – und Pomade kannten wir nicht. Auf die Idee, Haarspray zu benutzen, bin ich nicht gekommen – das war ja Frauenkram! Tja, dann musste ich also wieder mit Mittelscheitel zur ersten Haustanzparty meines Lebens – haben uns trotzdem extrem amüsiert tanzenderweise.
1980 experimentierte ich dann halt so rum mit Fön und so. Wenn die Haare kurz genug waren, kam dann mal mit viel Glück ‘ne Tolle raus, die einen halben Tag hielt. 1981 war ungefähr dasselbe. Ich kann mich nicht so genau erinnern – die Musik war halt damals schon das Wichtigste, nicht das Aussehen.
Mit Shakin’ Stevens, Stray Cats und diversen anderen begann ja das Rock’n’Roll Revival der 80er. Auch in den Hitparaden und somit auch im Mainstream mit Bravo und so. Damit wurde Rock’n’Roll und damit auch das entsprechende Outfit für kurze Zeit salonfähig: Manche Normalos gingen also zum Friseur und ließen sich ‘ne Rock’n’Roll-Frisur machen. Aber zu der Zeit konnten die Friseure das in der Regel nicht – und ohne viel Haarspray ging da gar nichts. Ich hab dann Anfang ‘82 mit Zuckerwasser angefangen – die Haare wurden dann bretthart, fühlten sich wie Stroh an und die Mutter flippte aus. Wenn ich Glück hatte, gelang mir die Supertolle.
Ich bin damals noch lange nicht immer mit Tolle rumgerannt und hatte auch nach wie vor keine Originalklamotten – aber ich hab damals schon nach Platten gejagt wie der Teufel die arme Seele. Oder meist hat man sich Platten ausgeliehen von Bekannten, die was hatten, und auf Kassette aufgenommen, denn Platten waren superteuer für unser Budget und im Walldorfer Plattenladen gab‘s praktisch nix. Immerhin, meine erste Crazy-Cavan-Platte hab ich da im Frühjahr 1982 erstanden – aber das ist wieder ein anderes Thema.
Wir waren bei der perfekten Frisur.
Ich kann mich erinnern, dass 1982 ein Ted bei uns Haare schneiden konnte. Und der hat mir dann mal so’n Schnitt gemacht und mit Haarspray dann die optisch echte Tolle geföhnt. Der hat mir noch ‘ne alte verranzte Lederjacke geliehen und ein abgetragenes Hawaiihemd geschenkt. Ich hab die Nacht im Sitzen geschlafen! Damit die Tolle nicht zerstört wird und bin mit dem Klamotten am nächsten Tag in die Schule… meine Mutter hatte mir am Abend vorher verboten, so was anzuziehen – da hab ich das Hemd und die Jacke in der Garage versteckt und am nächsten Morgen angezogen. In der Schule sind überall die Kinnladen runtergefallen – jetzt wussten sie alle, woher der Wind bei mir weht. Am geilsten war, dass das Mädel, hinter dem ich her war, Elvis-Fan war und völlig aus dem Häuschen war (lacht). Na ja, hat im Nachhinein ooch nüschd genützt. Hab die Frisur dann natürlich auch nicht wieder so hingekriegt…
Ich glaub, zu meinem Geburtstag 1982 (wo alle im Rock’n’Roll-Outfit kommen mussten, denn ich hatte hauptsächlich Normalo-Freunde) – hab ich ‘ne Tube Gel geschenkt bekommen. Das hat aber auch nix getaugt. So ab 1983 bekam ich endlich Routine und hab mir mit Haarspray und Fön dann selbst die Tolle gezaubert. Nicht jeden Tag, aber oft und natürlich zu fast jeder der zahlreichen Normalo-Parties in unserer Kleinstadt.
Seit August 1983 mache ich Musik, und seitdem lief ich dann natürlich immer öfter mit Tolle rum. Seit 1984 dann eigentlich immer. Nasse Haare, Haarspray und Fön war halt damals das Rezept. Erst seit den 90ern, als man dann endlich wusste, dass man Pomade aus’m Afro-Shop im Frankfurter Rotlicht-Viertel bekommt, benutze ich Pomade – und hoffe, dass ich die noch lange benutzen werde, sprich, sich meine arg strapazierten Haare noch lange zahlreich halten.
Das sind sie dir nach so viel Odyssee ja eigentlich schuldig! Aber jetzt erzähl noch mal, wie du in einem Jahr vom Zuschauer zum Musiker geworden bist.
Wir waren bei der Party von meinem Kumpel… jedenfalls war ich da von diesen Bands unfassbar begeistert und dachte, es wäre ja toll, sowas selber machen zu können. Und irgendwann hat mein Fußballkumpel erzählt, dass er eine Band hat, die Rock’n’Roll macht. Was, echt, du hast ‘ne Band?! Ich fand das damals total stark, weil ich ihm das nicht zugetraut hatte. Er hat mir dann Kassetten vorgespielt: Die Rocking Cowboys (lacht). Ich war dann öfter bei ihm, und wir haben zu zweit was gemacht: Er hat Gitarre gespielt, dazu noch die Bassdrum und die Hi-Hat vom Schlagzeug, und gesungen und ich hab auch gesungen. Das waren so die ersten Versuche 1982, mit 16, Anfang 17.
Wie ging es dann weiter?
Ein Jahr später war aus diesen legendären Jumping Jacks, aus diesen 100.000% Rock’n’Rollern schon Popper und Waver geworden, die sich dafür nicht mehr sonderlich interessiert haben. Mein Fußballkumpel hatte seine Band aber noch. Im Sommer hatte er dann zwei Auftritte bei zwei Straßenfesten. Und ich weiß noch ganz genau: Ich bin ihm vorher solange auf die Nerven gefallen, bis ich als zweiter Sänger mitmachen konnte. Natürlich fleißig geübt vorher, und das ein oder andere Lied hab ich dann schon allein gesungen, weil ich das einfach besser konnte (lacht). Ich kann mich auch noch genau erinnern, das war „Be Bop A Lula“ von Gene Vincent.
Jedenfalls hab ich am 27. August 1983 meinen ersten Auftritt gehabt und zwar gleich zwei hintereinander. Beim ersten waren es nur Schlagzeug, Gitarrist und ich, beim zweiten abends war dann auch der Bassist dabei. Und das war ein hammer Sound! Fand ich (lacht). Noch mit E-Bass, aber egal. Alle Freunde waren da und es war total klasse. Vermutlich war es total grottig, aber vor allem hatte ich am nächsten Tag keine Stimme mehr. Ich konnte nicht mal mehr sprechen.
Du hast dich also richtig reingehängt.
Ja, ich hab mich richtig reingehängt. Auf jeden Fall war ich von da ab fest in der Band drin und wir haben regelmäßig geprobt. Ich habe also mit 17 angefangen, Live-Musik zu machen. Erst als Sänger. Zwei Jahre später habe ich angefangen, Gitarre zu lernen, bin aber nicht besonders weit gekommen. Der Gitarrenunterricht war nicht so motivierend: Der Lehrer war zwar ein super Gitarrist, aber als Lehrer eher eine Niete (lacht). Außerdem war er eher auf 60s, 70s spezialisiert. Aber ich hab das Ding dann ein paar Jahre später wieder in die Hand genommen und mir das dann selber irgendwie beigebracht oder abgeguckt, so dass ich mich einigermaßen begleiten konnte. Ab ’89 hatte ich dann selber ‘ne Band, da habe ich dann auch akustische Gitarre gespielt. So war das.
Und wie war dein Werdegang danach? Du hast ja heute etliche Projekte am Laufen.
Ja, ich habe schon in sehr vielen Bands mitgewirkt – momentan sind es so ungefähr sieben, wo ich mitmache. Und damals, mit der ersten Band mit dem Fußballkumpel, hat ständig die Besetzung gewechselt. Weil der eine zum Bund musste und der andere keinen Bock mehr hatte… dann haben wir in der Schule neue Leute gesucht, da wurde die Besetzung dann auch immer größer. Und man hat jede Woche geprobt. Mindestens ein Mal.
Bist du da die treibende Kraft gewesen?
Sowohl der Fußballkumpel, der Sänger und Schlagzeuger in der Band war, als auch ich als Leadsänger haben das versucht. Die hatten auch so langsamere Country-Songs dabei, die haben mir überhaupt nicht gefallen (lacht), und ich habe das Ganze mehr in Richtung Rock’n’Roll getrieben. Die Band hieß Flaming Star, nach diesem Elvis-Song, und ich hab dann im September ‘84 durchgesetzt, dass wir uns in Cool Cats umbenennen, weil das ja viiiel cooler und nach Stray Cats klingt (lacht). Die waren ja damals das große Idol. Aber unser Repertoire ging von Stray Cats bis Bill Haley und quer durch den Gemüsegarten. Die Besetzung wechselte öfter. Ab 1985 kamen dann die alten Leute wieder rein, und im September ’85 hat sich unser Bassist dann einen Kontrabass geholt. Endlich! Ab da gingen wir soundmäßig in die authentische Richtung. Das war dann natürlich der Oberhammer.
Seid ihr zu der Zeit schon regelmäßig aufgetreten?
Es ging dann so los mit Auftritten in der Krone in Darmstadt oder in Frankfurt-Sachsenhausen, was damals die Metropole für Live-Musik war. Das kam damals auch voll gut an, weil es außer uns keine andere Band gab, die so authentischen Rock’n’Roll gemacht hat. Es gab natürlich in Sachsenhausen viele Oldie-Bands, aber die jungen Rock’n’Roller konnten sich mit diesen Langhaarigen eben nicht identifizieren. Die meisten Bands Anfang der 80er waren ältere Typen mit VoKuHiLa, was halt damals so Mainstream war, und die haben Oldies d.h. alles Bekannte aus den 50ern bis in die frühen 70er gespielt – mit E-Bass und so. Entsprechend kamen die halt rüber: laut, rockig – gar nicht unser Ding. Ausnahme waren die „Steps“, die haben Doo Wop gemacht, sahen aber auch eher wie Hippies aus. Die waren musikalisch okay, aber eben auch grad bei dem Langhaar-Klientel beliebt.
Und wie unterschied sich euer authentischer Rock’n’Roll von ihrer Musik?
Wir haben versucht, die alten Sachen notengetreu nachzuspielen. Die Langhaarbands haben, wenn überhaupt, eher Covers gecovert, also Neuaufnahmen aus den 60ern, 70ern von den Stücken aus den 50ern. In 2, 3 Kneipen lief immer Oldie-Mucke live: Das waren die „Werkstatt“, das „Spritzehaus“, und das „Jazzlive“. Da hab ich angefangen, meine Sporen zu verdienen – meist haben wir zwei Abende hintereinander mit den Cool Cats gespielt –mindestens 3 lange Sets, manchmal auch 4, für ‘ne lumpige Gage. Aber das gab Routine und wir waren ja auch noch extrem spielfreudig am Anfang. Dicke Eier, wie man so sagt.
Aber offenbar mit Erfolg.
Es fing dann an, so richtig groß zu werden. Wir sind Ende ’85 genau in so eine Phase gekommen, wo Rock’n‘Roller im Teenie-Alter einen Anlaufpunkt gesucht haben. Die Konzerte waren nicht wie heute, wo du immer zittern musst, dass einer kommt – da war die Bude voll! Es war echt voll. Anfang der 80er war viel Rock’n‘Roll in der Hitparade, ein richtiges Revival in gewisser Weise. Das begann 1981 mit Shakin‘ Stevens, da war Rock’n’Roll eben in. Im Vergleich zum Mainstream war es natürlich immer noch eine kleine Gruppe, aber es gab eben viele Überschneidungen. Das hat sich ziemlich schnell relativiert. Schon Mitte der 80er wollten die Rock’n’Roller dann unter sich sein und nichts mit den Normalos zu tun haben (lacht).
Ja, das kennt man ja bis heute.
Aber in der Krone Darmstadt war die Bude voll. Es waren eigentlich sogar mehr andere Leute, die einfach Spaß haben und einen drauf machen wollten. In Frankfurt Sachsenhausen war das ähnlich, da kamen dann halt noch die Amis dazu. Du hattest die Bude voll und wenn du einigermaßen anständige Musik gemacht hast, dann sind die Leute abgegangen. Und zwar nicht so supercool, wie die Leute da heutzutage rumstehen.
Wie bist du dann an Boppin‘ B gekommen? Die gab es ja schon.
Die gibt es schon seit 1985 und ich habe sie zum ersten Mal in der Krone Darmstadt gesehen. Dann habe ich sie zu einem Konzert von uns eingeladen und so hat man sich halt gekannt. Als deren erster Sänger Anfang 1987 zum Studium nach Wien gegangen ist, haben sie mich gefragt, ob ich mit einsteigen will. Wir hatten da mit den Cool Cats auch gerade so’n Crash. Die Band hat sich sozusagen in zwei verschiedene Bands auseinandergeteilt.
Warum?
Na ja, das übliche. Krach, Eitelkeiten, die einen wollten halt mehr authentisch sein – also die Leute um mich rum – und die anderen… ja, keine Ahnung, was die wollten. Es waren auch Antipathien im Spiel, na ja. Auf jeden Fall hat sich der eine Teil, in dem mehr die Normalos drin waren, wieder Flaming Stars genannt und das Konzept „Rock’n‘Roll für alle“ gemacht. So Eis-Am-Stiel-mäßig, die Rock’n’Roll-Standards inklusive dröger Schnulzen wie „Diana“ von Paul Anka. Was nicht verkehrt ist, inzwischen habe ich Lust, solche Schnulzen mal wieder mittendrin aufzulegen, für die Schwoofrunde. Aber damals vor 25 Jahren hat mich das mal nicht mehr interessiert. Es ging also ziemlich schnell auseinander. Und für mich war es Grund genug, bei Boppin‘ B einzusteigen.
Vor allem, weil die auch viel eigene Sachen gemacht haben, die zu dem Zeitpunkt schon sehr abgefahren waren. Das waren 10-12 eigene Stücke, alle von meinem Vorgänger (Dirk Hartmann) geschrieben. In dem Stil des Gitarristen und des Drummers klangen die nicht nach authentischem 50er Rockabilly, aber auch nicht nach Psychobilly oder dem was damals grade an Rockabilly in war. Es klang einfach anders – am Anfang schon eher hart und manche Stücke eher düster. Wir haben das Newbilly genannt, oder Cowbilly. Es war halt einfach ein eigenwilliger Stil. Und auch schon sehr Stray-Cats-orientiert. Ich hab die dann erst mit Elvis, SUN und mit Johnny Burnette & The Rock’n’Roll Trio gefüttert, später dann mit Bill Haley und The JoDiMars. Okay, das hat sich am Anfang bei Boppin‘ B völlig anders angehört (lacht), aber das war okay. Ich konnte erstmals die frühen Burnette-Sachen und richtigen Rockabilly live machen, was ich vorher eben nicht konnte. Und das hat mir sehr gefallen. Wir haben auch von Robert Gordon Stücke gecovert, die der wiederum gecovert hatte. Oder von den Neo-Billy-Bands wie The Blue Cats oder Dave Phillipps & The Hot Rod Gang. Die waren ab 1980/81 bekannt geworden (damals nannte man das natürlich noch nicht „neo“), weil sie authentischen Rockabilly gecovert und dabei einfach mal noch schneller und teilweise wilder gemacht haben. Also, Boppin’ B. gefiel mir am Anfang sehr, weil es was Besonderes und Eigenes war – nicht alles war gut, aber es war schön fetzig und wild. Und es kam natürlich an.
„Richtiger Rockabilly“ – wie definiert sich das genau?
Definitionen gibt’s sicher en masse. Ich würde mal sagen, Rockabilly lässt sich nicht definieren – was sich definieren lässt, sind authentischer Rockabilly, Neo-Rockabilly, SUN-Rockabilly, Starday-Rockabilly, Setzer-Rockabilly (als Erfindung von mir) usw. Das, was ich als authentischen Rockabilly bezeichne, lässt sich auf folgenden Nenner bringen:
Die kleinstmögliche Country-Besetzung – in der Regel zwei Gitarren (akustische Western und elektrisch verstärkte Gitarre) und ein Kontrabass – covert schwarzen Rhythm & Blues oder Country Blues in ihrem Feeling und macht weißen Blue Grass/Country wilder. So haben Elvis, Buddy Holly, Carl Perkins und Eddie Cochran angefangen. Natürlich haben alle relativ schnell ein Schlagzeug dazu genommen, aber bis heute charakteristisch für jede Art des Rockabilly ist, dass die elektrisch verstärkte Gitarre – meist als einziges Instrument – die Begleitung, die Soli, die wiedererkennbaren Riffs und Licks und die wiedererkennbaren Anfänge bzw. Schlüsse trägt und spielt. Rockabilly ist also eine Elektro-Gitarren-Musik. Die Stilistik und der Sound dieser Gitarre haben sich dabei von den Anfängen von 1953/54 bis heute sehr gewandelt, aber Jerry Lee Lewis und seine Nacheiferer blieben die Ausnahmeerscheinung.
Zurück zu Boppin‘ B: Wie lief deine Zeit als Leadsänger dort?
Also, wir hatten im Mai 1987 unser erstes Konzert und das letzte Konzert hatte ich am 3. Oktober 1990. Zu meiner Zeit haben wir zwei LPs aufgenommen, „Bee Bop“ ist auch rausgekommen. Von der zweiten LP „The Look“ hatte ich ursprünglich die meisten Songs mit eingesungen (und die Studiokosten mitgetragen), aber sie haben dann meinen Nachfolger die Songs neu einsingen lassen und sie neu gemastert.
Hast du zu der Zeit noch studiert oder warst du schon Vollzeit dabei?
Ich hatte direkt nach dem Abi 1984 angefangen, Geschichte zu studieren und dann nach fast drei Semestern das Handtuch geworfen, weil ich kein Land gesehen hab. Da war ich ja auch noch nicht so drauf wie später – also selbstbewusst und mit Durchblick (lacht). Ich hab einfach nicht das Prinzip verstanden und bin da völlig baden gegangen bzw. hab es einfach nicht mehr ausgehalten. Im Januar 1986 habe ich mich exmatrikuliert, zur Freude meiner Eltern (lacht) und rumgejobbt. Ich hab den Wehrdienst verweigert und war 21 Monate Zivi in einem Altenpflegeheim, was durchaus auch sehr prägend war.
Wieso?
Na ja, was man da so mitkriegt im Altenpflege heim, an Leuten, die nur noch aufs Ende warten und die man täglich aus der Scheiße holen muss – das hinterlässt schon Eindrücke. Da kann einen danach nicht mehr so viel erschüttern. Außerdem hat man das Gefühl, man hätte wirklich was Gutes und was Sinnvolles getan. Ich weiß nicht, ob man das hat, wenn man beim Bund war. Das hat mir schon was fürs Leben mitgegeben.
Und dann?
Danach habe ich verschiedene Lehrstellen bzw. Ausbildungsstellen versucht zu bekommen, allerdings erfolglos (lacht). Da war mein Lebenslauf wohl damals schon nicht adäquat für die ganzen Personaler. Die habe ich dann auch ganz gut hassen gelernt. Im Wintersemester ’89 habe ich dann angefangen, BWL zu studieren. Ich dachte, das hat sowas… wie nennt sich das… was „Seriöses“ und würde in Verbindung mit Musik doch eigentlich passen oder einzusetzen sein. Aber es war absolut nicht mein Ding, mit Mathe, meinem Horrorfach. Und ich hatte zu dem Zeitpunkt mit Boppin‘ B wahnsinnig viele Auftritte. Auch hier gab es wieder ein Schlüsselerlebnis: Ein Hörsaal, 800 Leute, ein Prof erzählt was, ich weiß nicht mehr, was das Thema war – jedenfalls war es dunkel und ich habe kopfüber auf dem Tisch gehangen und gepennt. Es war so ein Riesenhörsaal, wo alle sitzen wie die Hühner auf der Stange. Ich hing da also und war der Überzeugung, der Prof kann mich gar nicht sehen. Und dann kam die laute Ansage: „Und Sie da! Sie hören gefälligst auf zu schlafen!“ (lacht). 800 Leute guckten und ich dachte mir ok, das funktioniert also auch nicht.
Und wie ging es weiter?
Na ja, wie es dann oft so üblich war, bin ich als BWLer immatrikuliert gewesen und hab aber Musik gemacht. Mit Boppin‘ B ging es ziemlich aufwärts, wir hatten unsere erste LP draußen und die zweite war aufgenommen. Wir waren auf der Suche nach einem Label, viele Auftritte, aber wie es dann so ist: Je mehr Erfolg, desto eher kommen die Differenzen zwischen den Bandmitgliedern. In unserem Fall waren das dann Anschaffungen, wo die anderen mich dann immer überstimmt haben – nach dem Motto: Das brauchen wir. Und alles wurde von dem Geld bezahlt, das wir alle erwirtschaftet hatten. Erst hatten wir diese LP-Produktionen, die beide eine Menge Geld gekostet hatten. Die erste hat ungefähr 10.000 DM gekostet – mit Studiokosten und der ersten Auflage. Wir haben von der Kohle, die wir durch Auftritte verdient haben, einen Bus finanziert und eine gute Anlage mit Elvis-Mikros. Insgesamt hatten wir fast zwei Jahre keine Gage ausbezahlt, sondern nur gespielt und die Kohle gesammelt. Am Ende war es dann ein ähnliches Spiel. Ich habe mich mit denen dann auch verkracht und bin dann raus – was natürlich sehr dumm war, aber das wusste man ja zu dem Zeitpunkt nicht. Aber gut, es gab für mich natürlich echt Gründe, da einen Cut zu machen. Die Musik – die war exzellent, das habe ich damals so gesehen und sehe ich auch heute noch so. Aber es fing zu meiner Zeit schon damit an, dass dieses „Show um jeden Preis“ immer mehr in den Vordergrund gerückt ist, was mir auf den Zünder ging.
Was meinst du mit „Show um jeden Preis“?
Am Anfang haben wir, ohne abzusprechen, je nach eigener Stimmung Show gemacht – das war schon so wild, dass die Leute ausgerastet sind – z. B. wenn ich mal mit dem Elvis-Mikroständer in der Hand auf irgendwelche Tische gesprungen bin und darauf getanzt habe, dass alle Gläser vom Tisch fielen, oder der Gitarrist beim Solo auf dem Rücken durch die Menge gerobbt ist. Didi stand auch oft genug auf dem Kontrabass oder lag drunter beim Spielen. War alles geil – wir waren ja auch noch jünger. Aber schon am Ende meiner Zeit fingen die dann an, das abzusprechen, oder sogar Ansätze von Choreographien – das fand ich dann nicht echt. Ich glaube, am übelsten stieß mir auf, dass sie schon beim ersten Lied auf Teufel komm raus Show machten, was ich mir fürs Finale aufgehoben hätte. Ich hatte damals wie heute die Meinung, dass die Show von innen heraus aus dem Bauch kommen muss, weil sonst ist sie einfach einstudiert und nicht echt. Das fing damals schon an, in den Tendenzen, und nach mir wurde das dann zum einzigen Bandkonzept. Nach meinem Abgang wurde Boppin’ B. dann also eine Show Band, aber damals haben wir einfach noch schweinegute Musik gemacht. Das war kein authentischer Rock’n’Roll oder Rockabilly, aber es war ein eigener Stil, und die Wurzeln waren eben doch dort.
Was sagst du dann zu diesem Sasha-Album?
Öhm… das, wo sie seine Lieder nachgespielt haben? Ich kenne das gar nicht. Also, ich habe das natürlich schon in der Hand gehalten, aber ich habe mir das nicht angehört. Oder wenn, dann kann ich mich nicht erinnern. Ich kann dazu nichts sagen. Boppin‘ B hat ja mittlerweile endlos viele Album rausgebracht und die wurden nach meinem Geschmack mit der Zeit nicht unbedingt besser. Also, teilweise waren sie grauenhaft, gerade diese Popsong-Alben. Genau, das war damals schon ein Streitpunkt! Angefangen haben wir mit „The Look“ von Roxette und davon eine Rockabilly-Version gemacht.
Wie kamt ihr denn drauf?
Meine Idee war das nicht. Ich glaube, der Drummer wollte das machen, ich bin mir aber nicht sicher. Wir haben damals ja auch schon „I’m On Fire“ von Bruce Springsteen gecovert, allerdings nicht seine Version, sondern die einer Psycho-Band. Ich weiß nicht mehr, welche – hab mich nie für Psychobilly interessiert. Aber da konnte ich mich grad noch so mit arrangieren. Wir haben als Opener früher auch oft „One Step Beyond“ von Madness gespielt – was für viele Billies damals schon sehr grenzwertig war. „The Look“ fand ich auch echt gut von uns damals. Aber dann fingen die an: Wir könnten ja auch dies machen und das machen, da konnte ich mich überhaupt nicht mit identifizieren, aus noch weiteren Popsongs Rockabilly-Songs zu machen.
The Baseballs sind dann also nichts für dich?
Nein. Absolut nicht. Das empfinde ich als eine gewisse Form des Anbiederns, an den Normalo von der Straße bzw. zuallererst den Produzenten vom Majorlabel oder wen auch immer. Majorlabels versuchen doch seit geraumer Zeit, auch den unleugbar vorhandenen Bedarf an Nischenprodukten abzudecken und casten sich dann was Entsprechendes zusammen – oder meinst Du, die Baseballs sind eine über Jahre gewachsene Band?! Da kann ich überhaupt nicht mit. Es gibt so Popsongs, die sind im Grundgehalt schon kein Pop, sondern Rock’n’Roll – und wenn man die dann nimmt, dann finde ich das ok. So bemüht, irgendwelche Pop-Dinger, irgendwelche Top5-Knaller zu Rockabilly zu machen, um dann die ganzen Normalos mitzunehmen, kann ich überhaupt nicht drauf. Das geht nicht.
Also sind Geld und Charts gar nicht deine Motivation?
Na ja, doch. Wir haben damals zu Boppin‘ B-Zeiten und auch mit anderen Projekten natürlich gehofft und auch darauf hingearbeitet – aber dann mit unserem Ding! Mit ehrlicher Rock’n’Roll-Musik und nicht mit Pop! Es ist klar, dass das wohl des Idealismus‘ zu viel war oder dass man sich da zu viel versprochen hat. Aber es gibt auch immer wieder Beispiele dafür, dass es abseits vom Mainstream möglich ist – Vaya Con Dios zum Beispiel. „What’s A Woman With A Man“ [sic] und „Nah Neh Nah“, das war ja vom Sound her Sixties oder noch älter. Da ist ja auch Zigeunerswing drin, in den Sachen. Klar, optisch waren die schon im Mainstream, aber musikalisch eigentlich überhaupt nicht. Möglich war’s also. Aber wir hatten nicht das passende Vitamin B, kamen nicht zum passenden Moment. Und später in den 90ern und danach sowieso, bin ich vom Geschmack und von dem, was ich machen wollte, immer weiter zurückgegangen, in den frühen authentischen Rockabilly und auf der anderen Seite in den authentischen frühen Jive und Rhythm & Blues.
Hast du ein Beispiel für den frühen authentischen Jive?
Den müsste man erst mal definieren. Es gibt nämlich keine Definition davon, außer meiner eigenen. Wenn man den Jive vom Rhythm & Blues trennt, wäre sie folgendermaßen: Weiße Combos oder Orchester der 50er versuchen, schwarze R&B Stücke nachzuspielen. Aber ich war schon immer gegen die Trennung von schwarz und weiß in der Musik. Der frühe Jive beginnt mit den Swing Big Bands der späten 30er. Das beste Beispiel ist „In The Mood“ vom (weißen) Glenn Miller Orchestra 1939. Das ist ein Welt-Tanzhit bis heute: man kann da Tanzschul-Jive drauf tanzen, und Boogie, und unseren Jive und Lindy Hop. Das Charakteristische am frühen Jive ist, dass die Stücke meist auf’m 12-Takte-Blues-Schema basieren und das Klavier den Boogie-Teppich legt – Louis Jordans „Caldonia“ (1945) und „Choo Choo Ch’ Boogie“ (1946) sind typische Beispiele, die jeder kennt.
Und ein Beispiel für den frühen authentischen Rhythm & Blues?
Da sind wir bei der Schwierigkeit, Jive in unserem (Szene-)Sinne vom R&B zu trennen. Für die „Jiver“ gehören der weiße und der schwarze Jive zusammen. Typische Vertreter des schwarzen Jive der 50er und späten 40er sind Big Joe Turner, Wynonie Harris, Roy Brown, The Cues – und die fallen unter R&B. Vertreter des weißen Jive wären Dorothy Collins, Boyd Bennett, Charlie Gracie, Freddy Bell & His Bell Boys und natürlich Bill Haley & His Comets.
Ich habe auch angefangen, New Orleans Jazz zu machen, also Gitarrenbanjo und akustische Gitarre. Auch hier gibt’s zig Definitionen und Untersparten. Das Problem ist, dass New Orleans Jazz – also der erste Jazz überhaupt – weder in seiner frühen Zeit zu Beginn des letzten Jahrhunderts, noch in seiner Hochphase in den 10er Jahren auf Platte aufgenommen wurde. Die ersten Jazz-Aufnahmen, die groß rauskamen, waren von der Original Dixieland Jazz Band. Die kamen zwar aus New Orleans, aber es waren Weiße, die eben keinen New Orleans Jazz, sondern Dixieland spielten:
Nach Kriegsende 1945 gab es das so genannte New-Orleans-Revival: Musiker wurden ausgegraben, spielten den alten Stil (den sie sowieso schon immer gespielt hatten) und wurden erstmals auf Platte aufgenommen – Bunk Johnson, George Lewis, Kid Thomas, Willie Humphrey (den habe ich selbst noch gesehn), Sweet Emma u.v.a.
Hatten wir über Dixieland nicht schon ganz am Anfang gesprochen?
Ja, da hat sich dann der Kreis geschlossen zu der Musik, die ich als Kleinkind gehört habe. Mainstream und Pop interessiert mich schon seit Ende der 80er nicht mehr. 1986 habe ich zum letzten Mal Radio gehört, und seit 1990 habe ich mich nicht mehr für das interessiert, was so in den Hitparaden ist oder auf irgendwelchen Musikvideos kommt. Das war einfach unerträglich (lacht) und daran hat sich auch nichts geändert.
Was ja nichts damit zu tun hat, dass dich Musik nicht mehr interessiert.
Nein, Musik habe ich weiterhin aufgesaugt wie ein Schwamm, nur war es eben meine Musik. Und paradoxerweise wurde ja in den 80ern und 90ern auf Vinyl – und CD natürlich auch – unheimlich viel altes Zeug aus den 50ern, 40ern und älter ausgegraben, was es in den 50ern, 60ern und 70ern überhaupt nicht gab. Also Alternativtakes und unveröffentlichte Takes. Anfang der 80er dachte ich noch: So, jetzt haste bald alle Platten, die’s gibt vom Rock’n’Roll (lacht). Man wird nie alles haben, man wird nie alles finden. Und ich hab mir dann gedacht: Was soll ich denn andere Musik sammeln, was soll ich mich denn für andere Sachen interessieren, wenn es da immer noch unendlich viel zu entdecken gibt? Inzwischen gibt es auch ein paar Musikstile, die damit nichts zu tun haben und für die ich mich interessiere, aber die sind dann trotzdem aus den 50ern, 40ern, 30ern und älter. Latin zum Beispiel, also lateinamerikanische Musik. Rumba und Salsa, das gibt es ja, wenn man es so will, schon seit den 30ern, das hatte da nur andere Namen. Oder Tango der 20er Jahre… da gibt es einfach tolle Sachen! Oder den Schlager der 30er und 40er, teilweise sogar der 20er, der extrem gehaltvoll ist – im Vergleich zu dem, was danach kam.
Und wann hast du nun entschieden, dass du Vollzeitmusiker werden willst?
Eigentlich wollte ich das schon zu Boppin‘ B-Zeiten. Oder hätte ich gerne gewollt, das war ja auch das erklärte Ziel von Boppin‘ B: Dass man damit seinen Lebensunterhalt bestreiten kann – was die ja ohne mich dann auch erreicht haben. Ich stand danach ja erst mal wieder vor dem Nichts.
Also grundsätzlich gewollt habe ich das damals schon, aber nach dem, was man von Freunden, Familie, Eltern, Bekannten immer so mitbekommen hat, erschien das unmöglich. Lern was Anständiges, du brauchst ja Kohle später! Deswegen habe ich meine Energien damals noch viel für Ausbildungssuche, Jobsuche und diesen ganzen bürgerlichen Kram aufgewendet – und letztendlich verschwendet. Das ging eigentlich die Jahrzehnte durch, bis ich in Berlin war. Und als ich nach Berlin kam, wollte ich eigentlich weder DJ, noch Musiker sein. Ganz bestimmt nicht, das hat sich so ergeben.
Ich bin gespannt!
Wie es weitergeht, lest ihr in Teil 3: DJ Capt’n K und Berlin. Den Soundtrack zum Interview gibt’s bis dahin hier.