Diese drei Surf-Boys stammen aus Brasilien. Damit erklärt sich, dass sie mich nach unserem Interview (via Mail, muss man dazu sagen) wie eine alte und langvermisste Freundin begrüßten, als wir uns bei ihrem Gig in Berlin trafen. Ich bekam nicht nur das aktuelle Split-Album mit den irischen Spellbound in Vinyl geschenkt. Sondern auch die Vorgänger-CD „Dogs Of The Seas“ und etliche Aufkleber. Und mehr Freibier als ich trinken konnte.
Die südamerikanische Gastfreundschaft ist zurecht mehr als legendär. Thank you, guys and see you someday!
Bei den Interview-Vorbereitungen sind die Brasilianer nicht nur voll heißblütigem Tatendurst, sondern auch von gastfreundlicher Hilfsbereitschaft. Und im Gegensatz zu ihrem Instrumental-„Surf Trash Lenha“ sind Drummer Emiliano und Gitarrist Ed alles andere als wortkarg.
DYNAMITE: Wie begann eure Bandgeschichte?
Emiliano: Die Idee kam im Januar 2009 von unserem Ex-Trompeter JC Moloncio. Einen Monat nach den ersten Proben haben wir unsere erste EP „Power Surf Orchestra“ veröffentlicht und konnten auf dem Psycho Carnival Festival gleich 1000 Kopien verkaufen. Seitdem sind wir kontinuierlich unterwegs. 2012 musste JC die Band aus persönlichen Gründen verlassen. Ein echter Schock – immerhin hat seine Trompete unseren Sound geprägt. Ich wollte schon alles hinschmeißen, weil ich ohne JC als Musiker und Freund keinen Sinn mehr sah. Aber Ed hat darauf bestanden, weiterzumachen und mich schließlich rumgekriegt.
DYNAMITE: Habt ihr vor TMMMAFIA in anderen Bands gespielt?
Emiliano: Ed spielt in Indie- und Ska-Bands. Ich hab Metal gespielt und Psychobilly Hardcore, und drumme bei den Sick Sick Sinners. Unser Bassist Marcondez kommt von Dezakato, einer legendären brasilianischen Punkrockcombo. Jetzt sind wir fett und alt und schmeißen unsere Erfahrung bei TMMMAFIA zusammen.
DYNAMITE: Könnt ihr mittlerweile von der Musik leben?
Ed: In Brasilien kann man als unabhängige Band kaum überleben. Ich arbeite als freier Journalist und Emiliano ist Eventmanager. Marcondez ist der einzige hauptberufliche Musiker von uns.
Emiliano: Wir haben unsere normalen Jobs und geben daneben unser Bestes, um aktiv zu bleiben. Zu proben, Konzerte zu spielen oder unterwegs zu sein, hält den Kopf frei. TMMMAFIA ist wie ein großes Sammelbecken für all unsere Emotionen – außerdem bedeutet in einer Band sein, Spaß mit Freunden zu haben. Ich würde keinen Sinn in einer Band sehen, in der die Mitglieder nicht wie Kumpels miteinander reden. Sollte uns das jemals passieren, wäre es das Ende von TMMMAFIA.
DYNAMITE: Euer Stil ist kein klassischer Surf. Was treibt ihr da genau?
Emiliano: Am Anfang wollten wir wirklich Surf machen – aber auf unsere Weise. Also haben wir es Power Surf getauft, um die musikalischen Grenzen zu erweitern. Über die Zeit haben sich diverse Bezeichnungen entwickelt: Surf Punk, Surfabilly, Surf Trash, Metal Surf… Heute nennen wir es meistens Surf Trash Lenha, weil wir diese Positionierungen nicht so ernst nehmen.
DYNAMITE: Entschuldige – Lenha?
Emiliana: (lacht) Wir sind echte Hillbillys, wir mögen Slang! Da entwickeln sich Bezeichnungen, die sinnlos scheinen, aber doch genau passen. Lenha ist so etwas: Es bedeutet Holzkohle oder brennendes Holz. Und wir brennen wir für unsere Musik. Portugiesisch ist prädestiniert für solche Wortspiele und letztlich ist die Bezeichnung einfach ein Witz.
DYNAMITE: Was sind eure Einflüsse?
Emiliano: Man könnte uns als Mix aus Dick Dale, Slayer und den Dead Kennedys bezeichnen. Dick Dale ist der Größte! Neben den traditionellen Surfbands wie The Ventures, Surfaris, Shadows und wie sie alle heißen, hat er ganz neue Parameter gesetzt.
Ed: Als Emiliano und ich ganz am Anfang versucht haben, ein Riff für „People Secrets Sinister“ zu finden, haben wir es zuerst mit Classic Surf versucht. Aber das Feeling kam einfach nicht rüber. Dann haben wir andere Sounds getestet, und es wurde umso besser, je mehr wir das Tempo anzogen. Es war immer noch Surf, nur schneller und kräftiger. Ich habe Surf immer geliebt, aber ich hab nie verstanden, wie man so viel Klang aus einem einzigen Akkord rausholt. Die Spielweise, die ich kenne, ist die von Slayer, Metallica, Kreator und so. Die haben wir dann mit Surf verbunden.
DYNAMITE: Wir habt ihr rausgefunden, dass Surf euer Ding ist?
Ed: Ich kannte dieses Genre überhaupt nicht, bis mir ein Skater eine Kassette von den Ventures geliehen hat. Ich hab die nie zurückgegeben.
Emiliano: Mein Bruder kam irgendwann mit „The Ventures in Space“ nach Hause. Es war großartig! Ich glaube, dass jeder Surf mag – selbst wenn er dabei das Genre nicht mal erkennt. Jeder kennt die Musik aus Tarantinos „Pulp Fiction“ und den Soundtrack zu „Hawaii Five-0“. Da Surf vor allem instrumental und im Hintergrund gespielt wird, taucht es öfter auf, als man glaubt. Als wir die Band gründeten, stellten wir fest, dass sich unsere unterschiedlichen Musik-Geschmäcker über Surf verbinden ließen. Und außerdem bietet instrumentale Musik viele Freiheiten – man muss sich weder an Texte, noch an eine Singstimme binden.
DYNAMITE: Wie aktiv ist die Surf-Szene in eurer Heimat?
Emiliano: Ich bin nicht sicher, ob es irgendwo eine Surf-Szene gibt. Es ist ein freier Stil, fernab von optischen oder konzeptionellen Mustern wie sie den Psychobilly, Punk oder Rockabilly charakterisieren. Was wir in Brasilien haben, ist eine Gruppe guter Surf-Bands, die durch die verschiedenen Szenen wandern.
Ed: Hier gibt es eine Menge Hardcore-, Heavy-Metal-, Punkrock- und Garage-Bands, aber beim Instrumental Surf haben TMMMAFIA sowas wie ein Monopol.
Emiliano: Die Musikszene von Piracicaba ist klein, aber sehr engagiert. Es wird viel veranstaltet und produziert. Ich organisiere zum Beispiel nebenbei Auftritte für andere Bands, gerade kümmere ich mich um Los Twang! Marvels aus Deutschland. So hält man die Szene am Laufen und eine Hand wäscht die andere.
DYNAMITE: Was gibt es über das neue Album „Clash Of The Irresistible“ zu berichten?
Ed: Auf diesem Album gibt es keine Trompete. Wir haben die Songs ganz ohne Blasinstrument konzipiert. Dafür gibt es mehr Bass – um den haben wir uns auf den ersten beiden Platten kaum gekümmert. Ich denke, es ist das extremste und zugleich das eingängigste TMMMAFIA-Album geworden.
Emiliano: Wir wollen alle zwei Jahre eine neue Platte machen. Diesmal ist es ein Split-Album mit unseren Freunden von Spellbound.
Ed: Wir haben im selben Studio aufgenommen wie immer. Früher nannte es sich Apache Records und Celso Rocha, ein alter Freund, war der Produzent. Jetzt hat er das Studio vermietet und es heißt Milestone.
Emiliano: Der neue Techniker Emiliano Donato ist ebenfalls ein Freund geworden. Und im Endeffekt produzieren wir unsere Platten sowieso selbst, weil wir genau wissen, wo wir hinwollen. Für die Aufnahmen brauchten wir nur zwei oder drei Tage. Insgesamt haben wir neun Songs aufgenommen, aber einen haben wir beim Mixing noch rausgeschmissen.
DYNAMITE: War das Album von Anfang an als Split-Projekt geplant?
Emiliano: Ich bin begeisterter Spellbound-Fan, ihre Show beim Bedlam Breakout Festival hat mich komplett umgehauen. Ich hab ihnen also Gigs in Brasilien organisiert und wir haben angefangen, ein gemeinsames Ding zu planen. Am Ende ist „Clash Of The Irresistible“ dabei herausgekommen.
DYNAMITE: Im Juni seid ihr gemeinsam mit Spellbound auf Tour. Kommt ihr zum ersten Mal nach Europa?
Ed: Wir waren 2011 zum ersten Mal da und die Show im Sonic Ballroom in Köln war eine der Besten auf der ganzen Tour! Dieses Jahr spielen wir da wieder, oder?
Emiliano: Wir erinnern uns immer gern an die Promo-Tour für „Dogs Of The Sea“. Gerade jetzt erzählen wir uns die alten Geschichten von damals nochmal, denn im Sommer sind für die Surf Trash Mayhem Tour insgesamt 21 Shows bei euch geplant. Ein ganzer Monat und über 8000 Kilometer auf der Straße… aber ihr habt so gutes Bier, damit hält man alles aus.
DYNAMITE: Ihr seid für eure Bühnenperformance berüchtigt. Was ist euer Geheimnis?
Ed: Unsere Freundschaft und der Respekt füreinander spielen eine große Rolle – außerdem haben wir Riesenspaß! Gitarren aufdrehen und die Saiten glühen lassen, das macht einfach Laune.
Emiliano: Unsere Shows sind wie eine große Party. Wir sind immer froh, wenn wir zusammen auf der Bühne stehen und unsere Freude mit anderen teilen können. Jeder Auftritt ist einzigartig und das feiern wir.
DYNAMITE: Was macht den perfekten Abend für euch aus?
Emiliano: Full House, natürlich, außerdem jede Menge Bier und Leute, die sich nicht von Lautstärke verschrecken lassen. (lacht) Nein, im Ernst: Es ist unser Traum, der Welt unsere Musik vorzustellen. Dabei hängt alles davon ab, wie die Leute die Show aufnehmen.
DYNAMITE: Was war das Verrückteste, das euch je auf Tour passiert ist?
Emiliano: Ich habe mir letztes Jahr ein paar Tage vor der Europa-Tour den Arm gebrochen. Das war eine Tragödie! Ich kam halbbesoffen von einem Abend mit Spellbound nach Hause und falle auf die Fresse! Damals haben wir fast die Krise gekriegt, aber heute lachen wir drüber.
DYNAMITE: Letzte Frage: Was sind eure Pläne für die Zukunft?
Emiliano: Weiterhin Spaß haben. Aufnehmen, um die Welt reisen. 2014 nehmen wir die erste US-Tour in Angriff und wir hoffen, dass wir auch wieder nach Europa kommen können. Alte Freunde treffen, neue Freunde kennenlernen und das beste Bier der Welt trinken!
DYNAMITE: Ich danke euch für das Gespräch!