Rockabilly-Partys gibt’s in Berlin wie Sand am Meer – aber die Rockabilly Night, die alle zwei Monate mit Überraschungsfilm und Tanz im Kino Union in Friedrichshagen stattfindet, ist die Perle unter den Strandmuscheln. Sozusagen.
So weit draußen ist Friedrichshagen übrigens gar nicht: Mit der S3 ist man vom Ostkreuz in etwa einer Bierlänge da, da kann frau sich noch mal die Lippen nachziehen und man(n) die Tolle glätten. Einmal angekommen, erwartet einen eins der letzten und schönsten Traditionskinos von Berlin: Der hohe Saal besitzt einen gemütlichen Rang, der über versteckte Wendeltreppen erreichbar ist, und einen altmodisch gerundeten Parkettbereich. Hier kann man sich in rotsamtene Sessel lümmeln, hausgemachtes Popcorn knabbern und sich in vergangene Zeiten versetzen lassen: Das Gebäude des Filmtheaters wurde 1872 als Tanzsaal erbaut, wird seit 1913 als Kino genutzt und steht sogar unter Denkmalschutz. Damit hat es ordentlich Geschichte in sich und zeigt sämtliche Überraschungsfilme sicher nicht zum ersten Mal.
Bei den Filmen kann man Glück haben – und unterhaltsame Stunden etwa mit der großartigen Jayne Mansfield verbringen, die nach einem einfallsreichen und witzigen Drehbuch zeitgenössische Rollenbilder parodiert (auch schöne Mädchen wollen nichts als Ehefrau und Mutter sein – besser bekannt als „The Girl Can’t Help It“). Oder man hat Pech und es gibt Klischee pur, platte Witze und eine sehr fragwürdig konstruierte Handlung (das Mädchen luchst sturem Papi ein Prom-Night-Kleid ab, Titel und Schauspieler ohne bleibende Erinnerung).
So oder so: Es gibt es in jedem Film Musik – denn das war von jeher der eigentliche Zweck des Ganzen. Gene Vincent, Little Richard, Eddie Cochrane & Co. treten jeweils als sie selbst auf. Sie sind meistens nur einen Song lang im Bild und das ohne nähere Einbindung in die Handlung (außer, dass dazu getanzt wird). Wenn man genau hinschaut, steckt in Kameraführung und Szenenaufbau eine Menge Zeitgeist: Denn auch ein ganz Großer wie etwa Fats Domino wird – wie alle Schwarzen – bei seiner Show fast wie ein Zootier vorgeführt. Ein Wunder, dass ihm bei „Blueberry Hill“ keiner Erdnüsse an den Kopf schnipst. Das ist eben Zeitreise pur, in allen Facetten.
Aber apropos Musik: Nach dem Film wird getanzt. Vor der Leinwand gibt es eine große Freifläche und wenn sich die Füße erst einmal an das zuerst etwas widerspenstig anmutende Linoleum gewöhnt haben, gibt es mit Rockabilly, Jive, Rock’n’Roll, Boogie und Swing kein Halten mehr: Die Musik ist ausnahmslos tanzbar, die Leute gutgelaunt, die Atmosphäre entspannt – und die Preise friedrichshagenmäßig moderat. Das Alter auf der Tanzfläche bewegt sich zwischen Mitte Zwanzig und Fifties-Original. Ich find’s von Popcornduft bis Record Hop wunderbar und seitdem ich diese Partyreihe kenne, habe ich keine einzige Veranstaltung verpasst – das sagt ja wohl alles.
Last, but not least: Das Personal mitsamt Berliner Schnauze ist einfach herzig, Raucher haben ihr eigenes Kino-im-Kino und die Toiletten sind hollywoodhaft schön – das muss bei dem üblich Siff-Zustand von Hauptstadt-Clubtoiletten tatsächlich erwähnt werden. Und für alle, die auch auf 80er-Mucke stehen, oder einfach nur so ins Kino gehen wollen: Das Kino Union hat neben den Fifties ein breites Film- und Partyspektrum im Programm. Rausfahren, anschauen!
Das Programm am 13.09.: 20 Uhr: Überraschungsfilm aus den 50er Jahren (s/w, OV); 22 Uhr bis open end: Record Hop mit DJ Captain Kuddlemuddle. Eintritt: 9 Euro, im Rockabilly-Outfit: 7 Euro, nur Party: 6 Euro.
Bölschestraße 69, direkt am S-Bahnhof Friedrichshagen.