Ja, mit diesem Herrn hatte ich schon einmal das „Vergnügen“: US-Punkrocker Ryan Young ist seinen Lyrics nach zu urteilen so schwer depressiv, dass Lars von Trier einem daneben wie der gutgelaunte Weihnachtsmann persönlich erscheint. Dennoch ist er ein überaus anschaulich erzählender und meist bereitwilliger Gesprächspartner.
Bei unserem ersten Interview hockten wir mit einem Becher Kaffee an der Ecke Kreutziger/Boxhagener und brüllten über den Verkehrslärm hinweg abwechselnd in mein Diktiergerät. Bei unserem zweiten Gespräch saßen wir tausende von KIlometern voneinander entfernt vor unseren jeweiligen Laptops – gottseidank, muss man sagen. Denn wir waren beide so dermaßen erkältet, dass unsere Viren und Bakterien zusammengenommen uns als Erstes endgültig kaltgemacht und dann gemeinsam die Weltherrschaft angetreten hätten.
Trotzdem: Für das noisyNeighbours (eins der letzten existierenden FanZines, übrigens) haben wir uns zusammengerissen und Ryan hat mir niesend und rotzend einiges über das aktuelle Album „Home“ sowie seine privaten Depressions-Therapiemethoden erzählt.
Man nehme eine Prise Grippeviren, einen hustenden Punkrocker in L.A. und eine verschnupfte Berlinerin – damit wären die Grundzutaten für dieses Interview mit Ryan Young, dem Frontman und Gründer von OFF WITH THEIR HEADS beisammen.
Wehwehchen hin oder her: OWTH feiern in diesem Jahr Bandjubiläum und haben im Januar ihr 3. Studioalbum „Home“ herausgebracht. Ryan beantwortet unsere Fragen von A wie Album bis Z wie (Tour-)Zeitplan.
Ihr habt Record Release und 10-jähriges Jubiläum in einem Aufwasch bei einem Auftritt mit ehemaligen und aktuellen Bandmitgliedern gefeiert. Wie war der Gig?
Ryan: Großartig. Wir haben in Minneapolis gespielt, wo alles angefangen hat. Es hatte was von einer Familienvereinigung. 400 Leute sind gekommen, das war wirklich schön. Ich bin der Einzige, der seit 10 Jahren dabei ist, und an diesem Abend war ich der einzige Nüchterne, um die ganze Bande nach Hause zu fahren. (lacht)
Wie sah die Setlist aus?
Ryan: Wir haben die ganze neue Platte von Anfang bis Ende gespielt. Danach sind wir das ganze Archiv durchgegangen und haben ein bisschen von allem gespielt. Der Club sollte um 2 Uhr schließen, aber wir haben überzogen. Am Ende dürften es so um die 40 Songs gewesen sein.
Wie hat den Leuten das Album gefallen? Die Kritiken sind bisher ja ausnahmslos gut.
Ryan: Die meisten sind begeistert. Wir waren im März drei Wochen auf Tour, und schon da fühlte es sich an, als wäre die Platte seit einem Jahr draußen, weil die Leute die Songs auswendig kannten. Ein gutes Gefühl, denn ich war mir über die Reaktion nicht sicher. Immerhin sind ein paar Songs darauf wirklich anders, aber ich mag sie.
Du hattest im Vorfeld ja schon einen solchen Unterschied angekündigt. Was ist es genau und bist du zufrieden?
Ryan: Es bedeutet mehr Melodie und Gesang. Ich hab mich beim Singen immer hinter meiner schroffen Art versteckt, jetzt versuche ich mich selber auch mal aus der Reserve zu locken. Für Musiker ist es wichtig, sich weiter zu entwickeln. Wenn man das nicht tut, macht man bloß immer wieder dieselbe Platte.
Euer neuer Produzent Bill Stevenson sagte, dass er es vor dir noch nie mit einer so schrägen Stimme zu tun gehabt habe. Dabei scheint „Home“ die erste Platte zu sein, auf der du richtig singst – ist das Bills Einfluss?
Ryan: Ja. Bill und ich haben eine Menge Zeit mit den Vocals verbracht. Er hört Dinge, die ich mir nicht mal vorstellen kann, und er hat mir ein paar Tricks gezeigt, um mich zu verbessern. Obwohl er wollte, dass ich mehr schreie – ich wollte genau das Gegenteil. Es war ein ständiger Kampf um den richtigen Ton. Unser Dauerstreit hat der Platte den letzten Pfiff verpasst und letztendlich ist es großartig geworden.
Um was geht es auf „Home“?
Ryan: Es dreht sich um all die Probleme, die ich mit meiner Vergangenheit und Herkunft habe, was mich zu dem gemacht hat, was ich bin. Es dreht sich darum, dass Zuhause für mich nicht nur an einem Ort ist, sondern an vielen Plätzen überall auf der Welt. Die Motels, in denen ich 75% meiner Zeit im Jahr verbringe, unsere Wohnung in Los Angeles, die Wohnung meiner Schwester in Minneapolis… die fühlen sich für mich alle gleich an. Es geht darum, dass ich nicht wirklich weiß, wie es ist, einen festen Rückzugsort zu haben, wo alles schön und sicher ist.
Wie ist es mit der Wohnung, in der du mit deiner Freundin und deiner geliebten Katze lebst?
Ryan: Da bin ich jetzt gerade und hier ist es wirklich schön. Es trotzdem schwierig, heimzukommen und mich wieder ins normale Leben einzufinden. Wann immer ich mich gerade wieder niedergelassen habe, muss ich wieder los. Aber Tatsache ist, dass ich kein Interesse an einem ganz normalen Leben und Altwerden habe. Ich hab nie einen Job gewollt. Oder Kinder. Ich will ein Leben wie ein Dauerabenteuer. Und ich glaube, das macht es schwierig, an einem festen Ort glücklich zu sein.
… und es erklärt, warum du seit zehn Jahren auf Tour bist.
Ryan: Genau deswegen bin ich so viel unterwegs. Nicht, weil ich unbedingt unsere Band berühmt machen muss oder so. Aber ich weiß einfach nichts anderes mit der Zeit anzufangen.
Du nennst dich selbst den negativsten Menschen auf der Welt. Deine Lyrics sind von Depression und Selbsthass geprägt. Trotzdem schreiben dir Leute ihre eigenen Probleme und fragen dich um Rat.
Ryan: Die meisten schreiben mir, dass ihnen meine Songs helfen. Es ist ziemlich cool, so etwas zu hören. Andere fragen um Rat, und das mag ich nicht. Ich verstehe nicht, wie man OWTH hören und dabei denken kann, dass ich irgendwie helfen könnte! Ich bin eine Katastrophe. Deswegen heißt der eine Song „Seek Advice Elsewhere“: Ich kann den Leuten auf dieser Ebene nicht helfen. Meine eigene Therapie ist die Band. Das ist der andere Grund, warum ich die ganze Zeit Musik mache.
Also benutzt du das Songwriting als Therapie?
Ryan: Auf jeden Fall. Die OWTH-Songs schreibe ich meistens an den schlimmsten Tagen. Für mich ist das der beste Weg, aus etwas völlig Negativem noch etwas Positives entstehen zu lassen.
Als wir uns im letzten April unterhalten haben, hattest du noch nichts für das neue Album geschrieben. Wie ging es weiter?
Ryan: Das war ein bisschen gelogen. Ich hatte noch nichts fertig, aber ich habe eine Menge Bruchstücke und Bauteile für Songs mit mir herumgetragen. Ich nehme meistens zwei oder drei verschiedene Ideen und baue einen Song daraus. Ich glaube, wir sind mit zehn Songs ins Studio gegangen, haben 13 aufgenommen und zwölf auf das Album gepackt. An den Lyrics schreibe ich immer bis zur letzten Sekunde – bei den Aufnahmen singe ich erst nur die Melodie, dann kommen die fertigen Lyrics dazu. Ich hab den ganzen Monat während der Aufnahmen daran geschrieben und manchmal habe ich sie mitten in der Session geändert. Die Texte müssen frisch sein, also nehme ich immer so auf.
Was ist die Story zu diesem Song namens „Katrina“, der angeblich klang wie „Walking On Sunshine“ von Katrina & The Waves und es nicht aufs Album geschafft hat?
Ryan: Das war ein albernes Ding, das wir im Studio rausgehauen haben. Es war scheiße, da gibt’s keine große Geschichte. Wir haben ein paar wirklich dämliche Lyrics auf einen ekelhaft fröhlichen Song geklatscht. Es war nie auch nur angedacht, dass wir das auf die Platte nehmen würden.
Wie kamt ihr dazu, diese Fiebertraumgeschichte von „Seek Advice Elsewhere“ in einem Freizeitpark zu drehen?
Ryan: Andrew von Against Me rief mich an und sagte, dass er uns ein Video in einem geschlossenen Winter-Themenpark drehen könnte, wenn ich es irgendwie nach Florida schaffen würde. Die ganze Idee war sein Ding, und purer Blödsinn. Das Komischste daran ist, dass ich während der Dreharbeiten richtig krank war. Man muss es sich ansehen und daran denken, dass es mir in jedem Augenblick beschissen ging. Das macht es sehr viel witziger. Am nächsten Tag sind wir nach Gainesville gefahren und haben das Video für „Start Walking“ gedreht. Das war meine Idee: Ich wollte das Lied singen und dazu sollten mir alle möglichen Leute ins Gesicht boxen. Andrew befürchtete, dass ich ziemlich bald zurückschlagen würde, also haben wir uns auf Ohrfeigen geeinigt. Im Video sieht man deutlich, wenn mich trotzdem mal einer hart trifft.
Dass Leute dir ins Gesicht schlagen, scheint seit “Clear The Air” ja langsam Tradition zu bekommen. Warum scheint das so vielen Spaß zu machen?
Ryan: Ich verdiene es vielleicht einfach!
Derzeit seid ihr immer mit Kamera unterwegs. Was und wofür wird da gefilmt?
Ryan : Wir arbeiten an einem Film über ein Jahr in unserem Leben. Es ist eine No-Budget-Geschichte, es wird also nichts Großes werden. Aber ich wollte sowas schon immer mal machen. Ich bin nicht sicher, was am Ende draus werden wird, aber wir haben für eine Weile Kameras dabei und dann schauen, was daraus wird.
Zehn Jahre OWTH wären ja ein guter Anlass für eine Doku.Hat sich deine Wahrnehmung von Musik in dieser Zeit verändert?
Ryan: Ich höre jetzt viel mehr unterschiedliche Musik als früher. Am Anfang habe ich nur Punk und Hardcore gehört, aber nach einer Weile hat’s mich gelangweilt. Ich mag Bands wie The National, und ich finde es faszinierend zu entdecken, wie simpel ihre Songs eigentlich sind – aber dadurch, dass sie ihre Stücke schichtartig aufbauen, wird die Aufmerksamkeit von dieser Einfachheit abgelenkt. Sowas würde ich auch gern machen: Nicht nur einfache Songs, die im Ohr bleiben, sondern etwas anstellen, das den Song auf ein höheres Level bringt.
Also versuchst du, vom Pop-Punk-Sound auf ein höheres Level zu gelangen?
Ryan: Ich habe das, was ich mache, niemals als Pop-Punk bezeichnet. Ich bin auch nicht sicher, ob ich irgendein bestimmtes Ziel anpeile. Aber wenn ich mich selber weiter fürs Musikmachen interessieren will, dann muss sich das Ganze weiterentwickeln. Ich denke, mit einigen Songs auf „In Desolation“ ist mir das gelungen. Denn wenn es das nicht tut, dann bleibe ich in meinem Genre stecken. Und das ist das Schlimmste, was passieren kann. Die nächste Platte, die ich mache, könnte also wirklich schräg werden.
Kommen wir zur obligatorischen letzten Frage: Wann kommt ihr wieder nach Deutschland?
Ryan : Wir haben eine Europatour vom 22.8.-15.9. geplant, aber noch stehen keine Daten fest.
Bis dahin sollten wir hoffentlich beide wieder fit sein! Vielen Dank für deine Zeit!
Ryan : Ich danke dir. Gute Besserung!