(VÖ 05.04.2013) – Im Januar 2013 begannen die Aufnahmen zu „Outlaw Gentlemen & Shady Ladies“ und diesmal es dreht sich um das Thema Revolverhelden aus dem 19. Jahrhundert – außerdem schlagen Volbeat musikalisch neue Wege ein, was bei gleich zwei Rezensenten Ohren und Köpfe qualmen lässt.
Wow, was für drei ereignisreiche Jahre liegen hinter dieser Band! Erst der endgültige Aufstieg in den Rock-Olymp mit dem Chartstürmer-Album „Beyond Hell/ Above Heaven“ Ende 2010. Dann der überraschende Rausschmiss von Leadgitarrist Thomas Bredahl im Jahr 2011. Schließlich die Feuertaufe auf der ersten großen US-Tour der Bandgeschichte mit Mercyful Fate-Ersatzguitarrero Hank Shermann sowie die großartige Performance als Wacken-Headliner anno 2012. Und zu guter Letzt die frohe Botschaft, dass auf die im letzten Jahr erschienene und mehrfach vergoldetete Live-DVD ein neues Album in diesem Frühjahr folgen wird.
Dabei hatten wohl nur die Wenigsten nach dem Rauswurf von Gitarrist Nummer Drei seit Bandgründung an eine so zügige fünfte Platte geglaubt. Zu schwierig schien die erneute Eheschließung eines brauchbaren Langzeit-Axtschwingers mit Frontmann und Songwriting-Fleißpunkte-Geizer Michael Schøn Poulsen. Nicht gerade wenig deutete auf Poulsens unvollendete Fünfte hin.
PRO
Doch weit gefehlt.
Schneller als ein Indianer, der sein Pferd per Sprung übers Hinterteil besteigt, hat Ex-Anthrax-Ikone Rob Caggiano bei Volbeat als Producer und künftiger Leadgitarrist aufgesattelt. Und unter dem Einfluss von soviel American Trash Metal tauschen die Elvis-Metaller prompt ihre Blue Suede Shoes gegen derbe Cowboystiefel, um mir den nächsten Longplayer um die Ohren zu hauen. YEE HAW!
„Outlaw Gentlemen & Shady Ladies“ lautet der in volbeat’scher Manier gewohnt zungenbrecherische Titel des neuen Albums, und dieser Name ist auch Programm. Das wird mir schon beim Anblick des grimmig dreinblickenden Pistoleros bewusst, der mir vom Cover-Artwork entgegenblinzelt. Von diesem Album erwarte ich ein Tasting wie bei der guten Flasche Kentucky Straight Bourbon, die ich mir für den ersten Hördurchlauf bereitstelle. Ehrlich und gradlinig, aber auch intensiv und kraftvoll.
Der Ausritt beginnt: Bereits das Intro lässt mir mithilfe einer wild stampfenden Melodie aus bottleneck-verzerrter Westerngitarre und Mundharmonika den imaginären Pulverdampf aus rauchenden Colts in die Nase steigen. Vor dem geistigen Auge wehen Tumbleweeds durch staubige Westernstädte, und im Gehörgang knarren von trinkfreudigen Revolverhelden malträtierte Saloontüren. Auf diese Weise eingestimmt, widme ich mich der ersten Shady Lady, der berüchtigten „Pearl Hart“, einer Wildwest-Gangsterbraut im späten 19. Jahrhundert. Deren tragische Geschichte wird im klassisch-schnörkellosen Volbeat-Gewand mit typisch-eingängiger Hookline präsentiert.
Die im ersten Song nur sehr sparsam eingestreuten Westernelemente finden sich im ebenfalls sehr melodiebetont-einprägsamen „The Nameless One“ dann schon häufiger wieder. Weiter geht’s mit „Dead But Rising“, einem groovenden Kracher, der erstmals auch eine gesunde Portion Härte auf die Trommelfelle abfeuert. „Cape Of Our Hero“, die bereits vorab veröffentlichte Single, steuert dann wieder in mainstreamigere Gewässer, macht aber aufgrund der Ohrwurmqualität dennoch richtig viel Spaß.
„Room 24“ würgt daraufhin aber jeden Gedanken an VIVA-Mucke schonungslos ab. Ein düsteres, treibendes Riff, flankiert von gespenstischen Sirenenlauten, zieht mich direkt in die Hölle, aus deren Tiefen sich abwechselnd die bösartigen Stimmen von Michael Poulsen und Gastsänger und Mercyful-Fate-Legende King Diamond erheben. Auf diesen Schrecken trinke ich dann erst mal einen großen Schluck von meinem Whiskey. Während mir der Bourbon noch leicht im Hals brennt, fliegt mir aus der Anlage bereits „The Hangman’s Body Count“ um die Ohren. Erneut wähne ich mich dank fetter Westerngitarrenakkustik, die im Duett mit Poulsens einzigartiger Stimme sonorig aus den Boxen schallt, tief in der texanischen Provinz.
Der Whiskey beginnt zu wirken und da kommt mir „My Body“ als ultimativer Feiersong mit seinem herrlichen Pogo-Backbeat gerade recht. Die Story der irischen Tänzerin, Hochstaplerin und Wildwest-Primadonna „Lola Montez“ bringt mich dann mit ihrer etwas simpleren Erzählweise aus sanften, im trabenden Takt mitschwingenden Gitarren wieder ein wenig runter. Wer den Sattel nicht ordentlich festgeschnallt hat, wird nun aber bei „Black Bart“ relativ schnell den Halt verlieren, wenn die Trommelwirbel aus Jon Larsens Schießbude in ein zügiges Galopp wechseln.
Außerdem: Kein Volbeat-Album ohne eine Portion Cash. Der „Lonesome Rider“ startet mit einer Mischung aus spanischen Gitarren und dem typischen Boom-Chicka-Boom-Sound, bevor sich Michael Poulsen und seine June Carter, keine geringere als Walk-off-the-Earth-Frontfrau Sarah Blackwood, ein Stelldichein geben, dass nur im Mittelteil von moderner inszenierten Refrain-Parts unterbrochen wird.
Nachdem nun dem Meister ausreichend Tribut gezollt wurde, geht es weiter mit „The Sinner is You“, eine Midtempo-Nummer, die auf unterhaltsame Weise von einer an „The Little Drummer Boy“ erinnernden, mehrstimmigen Gitarrenmelodie dominiert wird. Der nächste Track erzählt die bekannte Geschichte des berüchtigten „Doc Holliday“. Dies gelingt hier auf musikalische Weise ebenso cool und authentisch, wie es Val Kilmer mit schauspielerischen Mitteln im 1993er Kinostreifen Tombstone gelang. Ein rockender Mix aus Westerngitarren, kraftvollen Riffs und düsteren Chören versetzt mich wieder direkt ins Jahr 1881, als sich Doc Holliday und die Gebrüder um Wyatt Earp die berühmte Schießerei am O.K. Corral lieferten.
„Our Loved Ones“ ist ein fast balladesker Ausklang, der noch ein letztes Mal dezentes Cowboyfeeling einstreut und ein wildes Gitarrensolo im Mittelteil bereithält. Mit dem Schlussakkord des Albums endet meine musikalische Reise durch die Ganoven-Historie des Wilden Westens, die das dänische Quartett klanglich hervorragend getroffen und gekonnt umgesetzt hat. Ich habe alles bekommen, was ich erwartet habe. Nicht sehr viel mehr, aber bestimmt auch nicht viel weniger.
Gefühlt ist auf „Outlaw Gentlemen & Shady Ladies“ deutlich weniger Aggressivität als auf früheren Alben hörbar, dafür hier und da ein wenig mehr Schmalz. Doch ich wäre der Letzte, der einer durchweg unterhaltsamen und handwerklich gut gemachten Platte den Schneid absprechen wollte. Stattdessen werde ich gleich eine neue Flasche Whiskey entkorken, den Stetson tiefer ins Gesicht ziehen und einen zweiten Ausritt mit diesem Album unternehmen.
In diesem Sinne, rein mit der Scheibe, Lautstärke hoch und die musikalische Landschaft auf sich wirken lassen. Oder wie man schon im Wilden Westen zu sagen pflegte: „Man soll die Biber nicht zählen, bevor sie in der Falle sind.“
Highlights: Cape Of Our Hero, Room 24, The Hangman’s Body Count, Lonesome Rider, Doc Holliday
Einleitung und Pro: Oliver Rogoll
CONTRA
Volbeat-Alben lassen sich ohne große Kenntnisse chronologisch sortieren: Je rauer und ungeschliffener, desto früher sind sie zu verorten – je „Radio Girl“-tauglicher, desto später. Und dieses Konzept geht auf: Seit ihrer Tour mit AC/DC 2010 haben die Skandinavier ganze Stadien für sich gewinnen können und spielen ihre eigenen, riesigen Headlinershows.
In den knapp zehn Jahren seit ihrem ersten Album “The Strength / The Sound / The Songs“ haben sich die Jungs um Ex-Death-Metal-Sänger Michael Poulsen ihren typischen Elvis-Metal-Klang erarbeitet, immer mehr abgerundet und verfeinert. Manchmal sogar schon fast ein bisschen zu sehr, denn mancher Fan der ersten Stunde beschwerte sich bereits über die vermeintlich viel zu glatte Schönheit von „Beyond Hell / Above Heaven“.
Mit „Outlaw Gentleman & Shady Ladies“ haben sie dieses Konzept – nennen wir es Pop im Sinne von Populärmusik – in meinen Ohren restlos übertrieben. Zumindest zu einem Drittel etwa. Ein weiteres Albumdrittel geht auf das Konto von theatralischem Scorpions-Metal und immerhin ein weiteres klingt wie Volbeat. In ihren sonst schwächsten Stunden.
Das spanisch angehauchte Intro könnte ohne Mundharmonika ein Ricky-Martin-Album einläuten. Was danach folgt, ist Pop, wie ich ihn nicht hören muss – das zuckersüß-klebrige „Cape Of A Hero“ hat schon als Vorabsingle mein Herz bluten lassen und zwar nicht gerade vor Rührung. Oder es ist dramatischer Metal in den höchsten Tönen, wie ich ihn mir lieber verkneife. Das ist alles nicht schlecht gemacht und Michael Poulsen hat nach wie vor eine der für mich faszinierendsten Stimmen im Rockbusiness, aber… nein. Nein, danke. Weder Drama, Baby, noch Sugar-and-Spice-Metal sind mein Ding.
„Dead But Rising“ ist nach drei Songs der erste Lichtblick: Endlich mal wieder ein bisschen Power. Allerdings fürchte ich die ganze Zeit, dass es gleich wieder auf Despreate-Housewives-Niveau absacken könnte – was es nicht tut. Es schwingt stattdessen in große Metal-Storyteller-Höhen, ins Review von Dream Theatre und Blind Guardian – trotzdem nicht mein Fall.
Das Duett mit King Diamond bei „Room 24“ kann diese großen Töne hingegen überzeugend spucken; als authentisches Experiment lasse ich mir diesen Song gern gefallen. Beim Sarah-Blackwood-Gemeinschaftswerk „Lonesome Rider“ hingegen kann ich nur beten, dass diese Country-Swindle nicht ernstgemeint, sondern ein fröhlicher Scherz ist – denn dann ist er ein echter Knaller. Beim das Young-The-Giant-Cover „My Body“ bleibt mir das Lachen allerdings im Halse stecken. Ist ja nett, jungen Talenten auch eine Chance zu geben – auch wenn Social Distortion und die Misfits auch noch ein paar nette Stücke zur Auswahl gehabt hätten. Aber das – das ist für mich nicht mehr der Sound, den ich geliebt habe.
Mit „Outlaw Gentlemen & Shady Ladies“ haben Volbeat ihren charakteristischen Elvis-Metal in die Tonne gekloppt und sich in etwas Neues, Undefinierbares und vielleicht Überflüssiges verwandelt. Fakt ist: So gut wie auf „Guitar Gangsters & Cadillac Blood“ werden Volbeat für mich nie wieder sein. „Mr. Perfect don’t exist,my little friend“, so sieht’s wohl aus. Auch diese Band entwickelt sich weiter, muss sich vielleicht weiter entwickeln, wir werden sehen. Und vielleicht begegnen sich eines Tages unsere Wege wieder.
„Well, I turn my back and / Go for all the better things in order.“ Farewell, mein Volbeat.
Highlights: Room 24, Lonesome Rider, Our Loved Ones
Contra: swi