Im Dezember-Interview haben uns Adrian, Torben und Henning stolz erzählt, dass sie auf dieser Frühlingstour nicht nur ihr neues Album „Rastlos“ promoten, sondern zum ersten Mal auch als Headliner spielen würden. Wow – die erste eigene Tour, und was soll man sagen? Jungs, ihr habt es verdient!
Kärbholz passen mit ihrer Form des Deutschpunk so recht in keine Schublade, aber seit „100%“ haben sie ihren Stammplatz in meinem CD-Regal. Von „Rastlos“ bin ich ebenfalls begeistert, „Fallen & Fliegen“ gehört zu meinen absoluten Favoriten – und zwar in guten wie in schlechten Tagen. Als Top-Act bekommen Kärbholz auf ihrer aktuellen Tour endlich den Platz, der ihnen gebührt.
Manche führen, andere folgen: Bevor die vier Rheinländer loslegen, spielen Enorm und Fahrlässig. Ganz ordentlich, soweit, aber weder musikalisch, noch textlich ein besonderer Reißer.
Um kurz nach 22 Uhr ist es endlich soweit: Die Bühne ist frei, die einleitenden Klänge zu „Rastlos“ laufen und Kärbholz entern die Bühne mit „Ich hör mir beim Leben zu“. Drummer Henning Münch mit grüner Bandana, Gitarrist Adrian Kühn mit blauen Hosen, Sänger Torben Höffgen mit kurzen Hosen und… Bassist Stefan Wirths mit langen Haaren? Irgendwas stimmt da nicht. Tatsächlich steht Stefan irgendwo rechts von mir im Publikum und auf der Bühne wird erst mal gar nichts erklärt, sondern full-power losgelegt.
Henning lässt die Trommelstäbe wirbeln, dass ich mehrmals und trotz genauem Hinschauen fest davon überzeugt bin, dass er zwei Sticks in einer Hand hält – auch wenn dem faktisch nicht so ist, seinem brandneuen Spitznamen „Der Krake“ macht er alle Ehre. Und auch die anderen Hölzer samt Aushilfsbassist Yong Jae knieen sich rein: Klar, das hier ist die Promotiontour für „Rastlos“, doch das Beste aus alten Zeiten darf auch nicht fehlen. Denn was wäre ein Konzert ohne „Nacht ohne Sterne“, „Spiel des Lebens“, „Diese Stadt“ oder gar „Dumm geboren“?
Auch das übliche Statement gegen Nazis ist am Start. Auf dieser Tour ohne 9mm & Konsorten sind definitiv weniger Assi-Rock’n’Roller im Publikum, aber bei Kärbholz-Konzerten gibt es immer einen Prozentsatz Glatzen im Publikum. Mit Springerstiefeln, Hosenträgern und altdeutschen Schriftzügen auf den T-Shirts, so sieht’s aus. Zeit, mit Vorurteilen von wegen Glatze-gleich-rechts aufzuräumen. Zeit für „Timmi halt’s Maul“. Shitstorms sind unnötig, hier wird vor Ort geklärt, was Sache ist.
Apropos: Was ist jetzt eigentlich mit Stefan? Für ein Akustikset von „Hier“, „Kein SOS“ und „Das Feuer (Noch immer in mir)“, werden Stühle auf die Bühne gebracht und jetzt ist auch Stefan dabei. Ein bisschen ruhiger und schmaler als gewohnt. Sänger Torben erklärt: Eine Herzmuskelentzündung, eine ernste Sache, Stefan müsse sich schonen – aber ganz verzichten muss er zum Glück nicht und sein Einsatz wird vom Publikum begeistert begrüßt.
Danach geht es weiter. Das Kesselhaus der Kulturbrauerei ist angenehm gefüllt, im kleinen Hof23 hätte ja kaum der Moshpit Platz gehabt, der jetzt vor der Bühne hopst. Viel Gerede ist Kärbholz‘ Sache dabei nicht: Großes Getue kommt nicht vor – auch nicht, wenn mal das Mikro ausfällt. Dann übernimmt eben ein anderer die Vocals, solange bis Torben wieder frisch verkabelt ist. Kein Ding, darunter leiden weder Qualität, noch Spielfreude.
Dafür schlägt Torben nach „Dieses Lied“ und „Mein eigenes Bild“ das gesamte Publikum großzügig zum König. „Ich bin ein Raucher und ein Trinker, ein Lügner und ein Schwindler…“ Vielleicht könnte man Torben an anderer Stelle mangelnde Gesangsausbildung vorwerfen, aber wenn er diese Hymne der Selbstbehauptung tief aus der Kehler schürft, kriecht mir die Gänsehaut den Rücken rauf. Und wenn der Publikumsgesang dazu so gut funktioniert, wie an diesem Abend, dann machen sich bei „Du bist König“ Ganzkörperhummeltitten breit.
Nach „Tag an Tag“ und „Bett aus Rosen“ ist erst einmal Schluss. Hier zeigt sich allerdings der Vorteiler der Headliner-Position: Zum Einen erscheint die normale Setlist länger und außerdem gibt es die Möglichkeit für eine ordentliche Zugabe! Kärbholz lassen sich auch nicht lange bitten.Im Publikum wird der große Schlussapplaus ohnehin für später aufgehoben, denn ohne „Mein Weg“ wird hier kein hartgesottener Fan den Saal verlassen wollen.
Beim Encore darf Stefan dann auch wieder an seinen Stammplatz: „Wir sind die Nacht“ donnert durchs Kesselhaus – pure Schonung ist das nicht gerade. Es folgt „Bilder“, der nostalgische Klassiker vom letzten Album. Und was fehlt noch? „Fallen & Fliegen“ natürlich, die großartige Single-Auskopplung aus dem neuen Album, die mir mit ihrem Uptempo-Beat und dem melancholischen Refrain ebenfalls durch und durch geht.
Als einzige Steigerung und großes Finale folgt danach „Mein Weg“. Auf die Bühne drängen sich eine Handvoll Fans – oder eher Stagediver mit ausgeprägtem Hang zur Selbsttanzdarstellung aka unterhemdzerfetzendem Strip? Aber als Musiker mit provinzialem Hintergrund haben Kärbholz auch da die Ruhe weg. Hauptsache, das Publikum geht weg und das Tempo lässt sich steigern: „Henning, komma aus’m Knick!“ ruft Adrian, und das lässt sich „Der Krake“ nicht zwei Mal sagen.
Noch einmal volles Tempo, noch einmal den Refrain, dann stehen die Hölzer am Bühnenrand, dirigieren einen letzten A-capella-Chor und verbeugen sich strahlend. Profi-Headliner eben. Diese Rolle füllen sie tadellos aus, besser kann man sich das nicht wünschen.
Ach ja, nach der Headliner-Tour wird im Sommer für die Ruppichterother auch gleich der zweite Traum in Erfüllung gehen: Kärbholz spielen auf dem Wacken. Riesenpublikum, Schlammschlacht, Rock’n’Roll pur – kurz W:O:A! Wir gratulieren!!
Setlist:
1. Ich hör mir beim Leben zu
2. Bis zum Mond
3. Nacht ohne Sterne
4. Spiel des Lebens
5. Dumm geboren
6. Timmi halt’s Maul
7. Rastlos
8. Diese Stadt
9. Hier
10. Kein SOS
11. Das Feuer (Noch immer in mir)
12. Dieses Lied
13. Mein eigenes Bild
14. Du bist König
15. Tag an Tag
16. Nichts verlieren
17. Bett aus Rosen
Zugabe:
18. Wir sind die Nacht
19. Bilder
20. Was wirklich zählt
21. Fallen und Fliegen
22. Mein Weg