Wahrheit oder Pflicht?

Gerockt, nicht geschüttelt #11 – „What you eat, you are“, das sang schon George Harrison anno Savoy Truffle. Aber wie ist das eigentlich mit dem Schreiben, besonders bei Autobiografien? Ist man, was man schreibt? Oder ist etwa nichts (Neues) sehen und schon gar nichts preisgeben das Motto?

(c) Farina Gerhardt

(c) Farina Gerhardt

Eric Clapton eröffnete seinerzeit den Reigen in meinem Regal. Oder nein – eigentlich ist eröffnen zu viel gesagt, denn so wenig wie „Slow Hand“ auf über 350 Seiten wirklich preisgibt, stand er wohl nur nägelknabbernd am Rande der Tanzfläche. „Mein Leben“ ist eine Zusammenfassung aller Tatsachen, die man über den stillen Clapton bereits wusste. In die Karten oder gar ins Herz gucken lässt sich der Meister nicht, nicht beim Bäumchen-wechsel-dich mit Harrisons Frau Patti Boyd, und nicht beim tragischen Tod seines Sohnes. Seine Drogensucht wird dagegen immer wieder thematisiert (somit war der Zweck des Buches vielleicht der der Selbstheilung – und nicht der des Fremdentertainments). Mein Highlight: Die Erklärung seines Spitznamens. Immer habe ich mich gefragt, wie ein Mann mit den flinken Fingern von „Layla“ sein Licht derartig unter den Scheffel gestellt bekam. In seiner Biografie lüftet Clapton das Geheimnis um die dünnen, reißlustigen Saiten zu Zeiten der Yardbirds – und seine Grobmotorik, was deren Ersatz anging. Immerhin.

Es folgte Ron Woods Lebensbeichte, und auch nach der wusste man eigentlich nicht viel mehr. Mick Jagger ist einem irgendwie nicht sympathischer geworden, dass Drogen im Spiel waren, wusste man schon vorher. Nur, dass der Stones-Gitarrist ein begnadeter Zeichner ist, das wusste man noch nicht. Dass er besser zeichnet als schreibt, macht seine Biografie aber nicht unbedingt spannender.

(c) Farina Gerhardt

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Ganz anders ist es mit dem großen, groooßen Werk von Bandkollege Keith Richards. Die Weltreise durchs Rock’n’Roll-Universum beginnt in den späten Vierzigern an der Wiege der Rockmusik: Beim Blues. Seite an Seite mit „Keef“ wandert der Leser durch versiffte, kalte Wohnungen, von der Jukebox zur Gitarre und zurück. Seitdem der einstige Chorknabe von seiner Mutter die erste Gitarre geschenkt bekommt, gibt es für ihn nichts anderes mehr: Musik zu hören und nachzuspielen ist sein Lebensinhalt.

Mit den frühen Sechzigern beginnt der Erfolg – und die Zeit der zunehmenden Drogentrips. Richards behauptet zwar, die Drogen nur verwendet zu haben, um sein Energielevel auf den Standardmodus zu regulieren – aber bei den kilometerlangen Lines und Grasschwaden, welche die gesamte Biografie durchziehen, mag man kaum glauben, dass da nicht auch ein klein wenig Spaß dabei gewesen sein soll.

Was man Richards aber einwandfrei abnimmt, ist seine Liebe zur Musik. Seine Zuneigung zu den Musikern in seiner Umgebung – den Everly Brothers, dem späteren Stones-Drummer Charlie Watts, dem Blues-Veteran Muddy Waters, Rock’n’Roll-Urgesteinen wie Jerry Lee Lewis und Chuck Berry… und nicht zuletzt Mick Jagger. Doch wer hier das eigene Ego über die gemeinsame Musik stellt, der bekommt sein Fett weg: Zuerst Brian Jones, bei dessen Egozentrismus es Richards nicht verwundern würde, wenn ihn jemand beim legendären Swimmingpool-Unfall nachgeholfen hätte. Auch mit Mick Jagger rechnet er noch einmal kräftig ab, aber das ist sieht er als persönliches Privileg. Fazit: Ich ziehe über Mick her, soviel ich will, denn ich kenne ihn. Wer sonst ein schlechtes Wort über ihn verliert, kriegt es mit mir zu tun! Soviel zu den „Glimmer Twins“.

Bei seiner eigenen Person beweist Richards eine Menge Humor: Seitenlange Abhandlungen über seine musikalische Weiterentwicklung wechseln mit detailgenauen Anleitungen für ein langes Leben bei exzessivem  Drogenkonsum. Aber: Am Ende jeder derartigen Passage erwartet einen Richards schon mit einer solch ironischen Bemerkung, als wollte er sagen: „Hey, nicht dass du jetzt denkst, ich hielte mich für den Größten! Kann zwar sein, das ich das doch bin, aber eigentlich interessiert mich das nicht.“ So hat man über 700 Seiten das gute Gefühl, einem alten, ketterauchenden Freund beim Erzählen zuzuhören. Der zwischendurch ein bisschen auf der Gitarre klimpert, Textzeilen murmelt und dabei eine Anekdote nach der anderen raushaut.

Und so einen Mythos nach dem anderen als puren Blödsinn entlarvt: So zum Beispiel die Geschichte, die wohl für fast jeden zum Allgemeinwissen gehört und besagt, dass Richards regelmäßig sein Blut waschen lässt. Pustekuchen! Ursprung ist der kleine „Muss weg, Blut waschen lassen““-Spruch, der von einem eiligen Richards auf dem Weg zum Flughafen in die Journalistenmeute geschleudert wurde. Aber in Lennon-Manier entwickelte sich dieser flapsige Kommentar wie ganz wie der berühmte „Bigger than Jesus“-Ausspruch zum Selbstläufer.

Dasselbe geschah mit der Geschichte des kleinen Bäumchens, auf dem Richards in der Karibik einen gemütlichen Nachmittag mit einem unseligen, rippenbrechenden Abgang verbrachte, als der Baum in der Berichterstattung plötzlich zur meterhohen Kokospalme und Richards einmal mehr zum vollgedröhnten Affen mutierte.

(c) Farina Gerhardt

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Und was ist jetzt eigentlich mit dem verstorbenen Chef-Ramone Johnny? Unter seinem „Commando“ wird die Todesstrafe zur gerechten Sache, Punkrock zum 08/15-Job und eine sichere Rente zum Lebenszweck. Rechthaben und Scheißegal-Haltung, das ist, was nach der Lektüre hängenbleibt. Nach seinen Kinderzeiten, in denen er die abgespielten Rock’n’Roll-Platten aus der elterlichen Bar wie Heiligtümer pflegte, gab es in Johnnys Leben eigentlich nur noch eins: Zorn.

Keiner weiß so recht, woher, denn die dunklen Seiten seiner Jugend verschweigt Johnny in seiner Biografie. Mit psychologischer Herumdeutung hat er es sowieso nicht so, lieber gibt er allen, die seine uneingeschränkte Herrschaft nicht akzeptieren, eins zwischen die Hörner. Kindheitsnostalgie, Pünktlichkeit, ordentliche Arbeit, Geld verdienen – das ist das eigentliche Credo, nach dem damals wie heute – „Hey! Ho! Let’s go!“ – abgefeiert wird.

Wenn man es mit ein wenig Abstand betrachtet, wollte Johnny Ramone das, was alle wollen – ob Spießer, Punk oder Normalo: Anerkennung seiner Freunde, Ruhe und ein Leben nach seinen eigenen Maßstäben. So sammelte er Schnappschüsse mit Prominenten (die er jeweils mit „Johnny mit seinem Freund John Frusciante… Tim Burton… etc.“ unterschrieb), ließ sich ein Grabdenkmal als Gitarrenspieler errichten und wollte nach einem Konzert nichts als Fernsehen, Milch und Kekse. Und zu tun, was man will, ohne Rücksicht auf andere Meinungen und Stereotype – das ist dann vielleicht doch wieder Punk. Pech gehabt, Spießer-Johnny!

Alles in allem, ob Wahrheit oder Pflichtübung: Die kleinen Anekdoten, die Weisheiten, die Sturheiten und Ironie, die Begeisterung für Musik und ihre Geschichte, all das macht den Reiz von Biografien aus. Dabei lässt sich natürlich keiner wirklich hinter die Fassade gucken. Der eine knallt einem wie Ron Wood und Eric Clapton bei jedem indiskreten Schlüssellochblick die Tür ins Gesicht, anderen zünden sich gemütliche eine Kippe an und erzählen die nächste Keith-Richards-Story und dem nächsten geht eben gleich das Messer auf. Nichtsdestotrotz, wenn man als Leser das Gefühl bekommt, einen großen Reisenden begleiten zu dürfen, dann stimmt das Konzept. Und zwar unabhängig vom Inhalt.

 

Ron Wood: „Ronnie: Die Autobiografie“. Heyne Verlag. 9,99€.
Eric Clapton: “Mein Leben”. Fischer Taschenbuch. 12,95 €.
Keith Richards: „LIFE“. Heyne Verlag. 14,99 €.
Johnny Ramone: „Commando – Die Autobiographie von Johnny Ramone“. Tropen Verlag. 19,95€.

 

 

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