Steile Flats, trommelfellerschütternde Rhythmen und coole Bands: Seit Wochen habe ich mich auf dieses Psycho-Wochenende gefreut, und v.a. wegen des dritten SPAHM- und des zweiten DAG-Konzerts in diesem Jahr. Sir Psyko & seine Monster und Demented Are Go sind live nämlich einfach überragend.
Außerdem darf ich für das DYNAMITE unterwegs sein – mein erster größerer Artikel. Der Auftrag geht wie oft sehr kurzfristig ein, also ist es eine ziemliche Hetze, auf den letzten Drücker noch eine Kamera klarzumachen. Doch wo Dynamit ist, ist auch ein Weg!
Running order approx:
05.00 pm . Wreck Kings
05.45 pm . Howling Wolfmen
06.30 pm . Bad Dooleys
07.30 pm . Psyclocks
08.30 pm . Stringbeans
09.30 pm . Sir Psyko & His Monsters
10.30 pm . Rockabilly Mafia
11.30 pm . Coffin Nails
12.30 am . Demented Are Go
In Bremen angekommen, läuft jedoch alles wie am Schnürchen: Sachen abladen, umziehen, eine letzte Flat-Kontrolle und los. Das 3rd Psychobilly Earthquake findet weit draußen auf dem Hafengelände in der Überseestadt statt – sicherheitshalber vermutlich, denn die dröhnend geslappten Kontrabässe könnten vermutlich tatsächlich ein Erdbeben auslösen. Zum Glück sind sie auch von weitem zu hören, sonst wäre es in der doch recht großen Speicherstadt mit der Orientierung nicht weit her gewesen.
Drinnen suchte mache ich als Erstes Tom „Kleriker“ Peter, den Veranstalter, ausfindig, bekomme meine VIP-Karte und damit vollen Zugang zum Backstage und Fotograben. Für Backstage bin ich ja immer noch zu schüchtern, aber ein Fotograben ist definitiv was Feines. Vor allem, wenn davor gewreckt wird.
The Howlin Wolfman mit ihrem bezaubernden Riesen am Bass habe ich diesmal leider verpasst. Aber wir kommen gerade rechtzeitig, um The Psyclocks aus Japan zu hören: Die Drei sehen nicht nur wegen ihrer Latzhosen und Zebraunterhosen aus wie alterslose Schulkinder, aber fetzen können sie wie die Großen, und die Stimme von Miyakawa Popeye erinnert überraschend sehr an P. Paul Fenech. Außerdem haben die Jungs ihre eigenen Fans – darunter ein Mädchen in einem Geisha-Kimono – mitgebracht, die das ganze Wochenende mit beeindrucken haltbaren Flats und trotz theoretischer körperlicher Unterlegenheit die Tanzfläche aufmischen.
The Stringbeans im Anschluss können trotz vollem Körpereinsatz mit den Psyclocks nicht ganz mithalten, aber der Psychobilly Hammer from Austria aka Sir Psyko & His Monsters umso mehr.
Im letzten DYNAMITE hatte ich die Rezension zu ihrem Live-Album „Welcome To Our Hell“ schreiben dürfen (falls man sich erinnert: Ich war bei der Aufnahme-Record-Release-Party im Wild at Heart im Januar dabei) und eigentlich habe ich mir vorgenommen, noch mal kurz „hallo“ zur Band zu sagen. Aber je öfter sic die Gelegenheit bot, wenn Ben & Co. vor meiner Nase durch die Halle flitzten, desto mehr Herzrasen habe ich. Da kann mich der Herzmann noch so schubsen, ich bocke wie ein Esel. Na ja. Immerhin bin ich mutig genug, mich den gesamten Auftritt über im Fotograben zu verschanzen.
Der Pit tobt wie immer ungehemmt, allerdings ist der Klang diesmal nicht gerade berauschend. Die Band selbst lässt die Einstellungen während des Auftritts immer wieder korrigieren, aber weder Sir Psyko, noch das Publikum sind wirklich zufrieden mit der Tonqualität. Das Übel liegt allerdings nicht bei der Band, sondern tatsächlich an der Technik: Der Kleriker kündigt für das nächste Jahr auch wieder den bewährten Mixer am Pult an.
Aber: Was am Klang nicht stimmt, das machen Sir Psyko durch ihr Feuer wett. Ich weiß nicht,
woran es genau liegt, dass diese noch recht junge Band so durchstartet . an ihren abwechslungsreichen und gekonnten Songs zwischen Punk und Psycho, an den rauen Stimmen, den singalongtauglichen Texten, den Gitarren… daran, dass einfach alles passt, oder dass sie einfach authentisch rüberkommen. Vielleicht alles zusammen.
Aber wenn Sir Psyko am Bass sein Shirt auszieht und der Schweiß auf seinem Rücken im Scheinwerferlicht verdampft, dann muss man einfach mitbrennen. Let’s wreck, let’s drink, let’s have dirty nights! We’re addicted bone for bone, to the dark side of Rock’n’Roll!
Aber Festivalauftritte fallen für Bands wie dieser leider immer viel zu kurz aus. Es folgen: Rockabilly Mafia. Diese deutsche Band ist auch nach über 25 Jahren noch so, wie sie immer war: Ein bisschen anders. Früher waren es die deutschen Texte (die auch heute noch eher selten sind), dazu ein Sänger mit gezwirbeltem Schnurrbart (wahrscheinlich hat er darin mehr Pomade als auf dem Kopf) und mehr Nebel als Flair. Fand ich zumindest. Aber unverwechselbar sind sie, und so gehören Rockabilly Mafia zur Szene wie das Bier in der Hand.
Danach folgen Coffin Nails und die ersten nackten Männerbrüste des Abends. Der Auftritt ist mittelgut, aber nach Sir Psyko ist es für jede Band wirklich schwer, noch einen tiefen Eindruck zu hinterlassen.
Ich freue mich allerdings auf die (zweiten) Headliner des Abends: Demented Are Go. Frontman Sparky ist ja bekannt für seine … dezente Dauervertrsahlung. Als der erstaunlich kleine Mann am frühen Abend durch die Halle schlendert und sich mit der japanischen Horde fotografieren lässt, macht er bereits einen etwas abwesenden Eindruck – aber immerhin sind die Zeiten vom Plüschhund in der Handtasche vorbei. Bis zum Auftritt um viertel vor 1 geht danach noch reichlich Zeit. Prost! Oder was auch immer.
Die auf Horror geschminkten Bandkollegen machen zwar einen ausschweifenden Soundcheck und
der Techniker befreit extra ein eingeklemmtes Mikrokabel, aber Sparkys Schlagseite ist an diesem Abend nicht mehr viel entgegenzusetzen. Ach, schieben wir es einfach auf die Tontechnik, dass der Sound nicht einwandfrei war.
Demented sind trotzdem immer ein Erlebnis – besonders, wenn man versucht, den zuckenden, bewegungsfreudigen Sparky mit einer Kamera zu fotografieren, die Ladehemmung hat: Unter etwa 100 Bildern, die alle nur einen Zipfel seines Leopardenmantels oder die Spitze seines lilafarbenen Flats zeigen, wird sich später nur ein brauchbares Bild finden. Allerdings sieht Sparky darauf auf, als käme er direkt aus der eiskalten Hölle. Perfekt.
Der erste Abend endet erfolgreich: Auf dem Weg nach draußen begegnen wir noch einmal Ben666 von Sir Psyko, und in einem Anfall von Todesmut spreche ich ihn diesmal tatsächlich doch an. Und siehe da, er weiß sogar meinen Namen. Tadaaaaa!
Nach so viel Aufregung sind meine Lichter für diesen Abend endgültig aus. Ich habe nicht getanzt (im Gegensatz zum Mann, der blaugeschlagen war wie ein Teller Quetschkartoffeln), und bin trotzdem so müde, dass ich uns ein Taxi spendiere. Ab ins Bett und morgen auf ein Neues!
Running order approx:
05.00 pm . Squidbillys
05.45 pm . Rusty Robots
06.30 pm . Rubber Chukks
07.30 pm . Lucky Devils
08.30 pm . Stressor
09.30 pm . Griswalds
10.30 pm . Skitzo
11.30 pm . The Quakes
01.00 am . King Kurt
Die ersten Bands verpassen wir, aber die Lucky Devils aus Frankreich habe ich unbedingt sehen wollen und die sehen wir: Live sind sie ebenso gut und volltönend wie aus der Konserve. Manche Bands entwickeln ja nur im Studio Volumen und stinken auf der Bühne – das gilt für die Franzosen zum Glück genauso wenig wie für Stressor aus Russland. Deren Energie wird nur von meinem Highlight des Abends übertroffen: The Griswalds im Hawaii-Look.
Wenn eine Band in Hularöckchen auf die Bühne kommt und der Sänger einen Plastikaffen unterm Arm und einen geflochtenen Flatausläufer auf dem Hinterkopf hat, spricht das für eine Menge britischen Humor, Selbstironie und Spaß an der Sache. So sieht es denn auch und so klingt es: The Griswalds veralbern sich gegenseitig („Ok, heeeeee wants to play jazz!“) und ziehen alle Anwesenden mit Hingabe durch den Kakao. Zuerst sich selbst („… look at this grey hair!“) und dann das Publikum („Is ‘Psycho Tendencies‘ all you can say? Everytime I ask for a song, people keep saying ‘Psycho Tendencies’!”). Nach dem großartigen Cover „Psychobilly In Love” endet der grandiose Auftritt mit – natürlich – „Psycho Tendencies“. Dafür rafft sich der Sir-Psyko-gebeutelte Pit denn auch noch mal zusammen. Danach ist der Herzmann endgültig ruiniert, aber auch endgültig zufrieden.
Skitzo im Anschluss sind zwar auch Briten, aber mit Humor hatten diese finsteren Herren nichts am
Hut. Ihr Auftritt schmeckt eher nach finsteren 80ern und Straßenkämpfen. Außerdem haben sie einen viel zu spillerigen E-Bass. Liegt mir irgendwie gar nicht.
Denn so finster manche Gestalten auch schauen, im Großen und Ganzen ist es in der Szene doch friedlich (geworden), und beim Earthquake bleibt es bei einer geplatzten Augenbraue und einem versehentlich bewusstlos Gewreckten. Und bei einem lächerlichen Ehrgezerre um Knarre und Frau vor der Tür. Ansonsten merke: Wrecken beseitigt bad vibrations.
Den Abschluss des Abends geben The Quakes aus den USA und die glitzernden King Kurt. So viel auf einmal, schon fast zu viel, bei all den schillernden Figuren. Am nächsten Tag hätten wir uns noch die After-Show-Party geben können – die letzten Psychos taumelten im Hostel ein, als wir gerade frühstückten –, aber so nett Blue Rockin‘ und Stressor die Zweite auch gewesen wären: Berlin was calling.