African Journal #9 – Der letzte Strand.

Was vom Schlafe übrigblieb.

Ausschlafen wollten wir, unbedingt. Aber C. ist natürlich schon um 6.30 Uhr quietschwach und ich eine Stunde später dann auch. Noch einen Moment in diesem riesigen Bett räkeln und uns freuen, dass wir da sind, wo wir sind. Noch einen Moment das geschnitzte Himmelbett aus dunklem Holz anstaunen, dem Ventilator an der Decke träge mit den Augen folgen und dann den Blick durch das Moskitonetz nach draußen schweifen lassen: Auf Palmen und Hibiskusbüsche. Und auf das türkisblaue Meer, das wir sogar im Liegen sehen können. Und hören. Das Meer! Ab in den Bikini und hinaus ins Wasser! Und zwar vor dem Frühstück.

Der Indische Ozean ist noch ein wenig kühl, aber 25 Grad hat das Wasser auch früh am Morgen sicher und ist damit perfekt zum Wachwerden. Wir paddeln ein bisschen herum, so lange, wie unser Frühstücksappetit es eben zulässt.

Der Frühstücksraum

Der Frühstücksraum

Das Frühstück im Ndame ist okay. Pancakes, etwas Obst und… gibt es noch was? Toast, vermutlich. Auf jeden Fall gibt es neben dem üblichen Africafe und Tee auch Gewürzkaffee mit Nelken, Zimt und Kardamon. Und einen derartig chemischen Zuckersaft in Knallfarbe, dass mir vor Insulinschock ganz anders wird. Aber: Zum Essen sind wir nicht gekommen und heute Mittag kriegen wir bestimmt noch irgendwo was Frittiertes.

Wir legen uns also erst mal an den Strand. Lesen etwas, schreiben ein wenig im Reisetagebuch, das wir gestern vernachlässigt haben (dafür haben wir uns im Bett liegend ausschweifend den Tag berichtet; wie immer ist so viel passiert, dass 24 Stunden viel zu wenig scheinen) und faulenzen vor allem. Aufs Meer schauen, das sich langsam mit der Ebbe zurückzieht, reicht nämlich völlig als Unterhaltung.

Schmuckwühlen und Geldschreiben.

Treffen unter Kollegen

Treffen unter Kollegen

Später begrüßen wir Frank und Jacob. Frank hat seinen Shop mitgebracht, eine kleine Plastiktasche, aus der er erst einen roten Stoff als Unterlage auspackt und dann darauf einen Berg glitzernden Massai-Schmuck kippt. Von Schaufenstergestaltung hat hier noch keiner was gehört.

Seelenruhig kramen wir beide in dem verzwirbelten Haufen. Schaufenstergestaltung ist nicht Franks Sache, die detailfreudige Beratung schon. Ich suche Ketten für Mutter und Freundinnen aus, Ohrringe, ein Fußkettchen und einen Armreifen für mich. Die Stücke sind aus Glasperlen, Leder und – wenn es wie Plastik ausschaut – aus Horn hergestellt.

Anschließend beginnen die Preisverhandlungen. Frank streicht sorgfältig ein wenig Sand glatt und sagt gönnerhaft: „For you: Family price!“ 170.000 Tsh schreibt er auf den Strand, eine ganze Ecke über 100 Euro also. Netter Familienpreis. Als gute Ehrenmassai sind C. und ich mit 10.000 Einstandsgebot ebenso großzügig. Frank kichert belustigt und schreibt eine neue Zahl. Dann wieder ich. Amüsiert einigen wir uns schließlich in der Mitte.

Danach machen wir uns daran, unsere nächste Sansibar-Reise zu finanzieren: C. hat von Freunden eine Kauflandtüte mit auf die Reise bekommen, denn es gibt einen Wettbewerb um das schönste Urlaubsfoto mit ebendieser Tüte. Wer gewinnt, bekommt einen VW-Bus. Sind  C.s Freunde die glücklichen Gewinner, bekommt sie den Erlös aus dem Verkauf ihres alten Autos und damit könnten wir nach Sansibar auswandern. Das erklären wir Frank und Jacob.
Und kriegen prompt jede Menge perfekte Fotomotive vorgemacht.

Jacob und das Reisekassen-Projekt

Jacob und das Reisekassen-Projekt

Welches Foto sollte schöner sein als dieses: Jacob pechschwarz mit strahlendem Lächeln die rotweiße Tüte präsentierend, in Shuka und Perlenketten hingestreckt auf einer Liege aus Kokosfasern? Keine Ahnung. Wir werden also gewinnen. Punkt.

Nach der Fotosession gehen wir mit den Jungs zum Essen ins Dorf. In einer kleinen Essstube mit rohen Betonwänden und Plastikstühlen bekommen wir Reis, dazu eine rote Sauce, in der Kartoffel- und Fleischstücke schwimmen. Frank ist sehr besorgt darum, dass ich meinen Teller auch leermache, denn er findet meinen Bauch für eine Frau viel zu flach und alles andere als standesgemäß. Schließlich bin ich – Hände wegwischen hin oder her – in diesen zwei Tage seine Strandfrau, so wie C. Jacobs Mädchen ist. Denn allzu viel Auswahl an Touristinnen gibt es in der Wintersaison nicht.

Das einfache Essen ist lecker, besonders der duftige Reis, und es kostet weniger als einen Dollar pro Person. Ein Liedchen gibt es gratis dazu, denn der volle Bauch macht die Massai so zufrieden, dass sie spontan ein bisschen singen. Hübsch ist das. Da sitzt man, draußen strahlt die Sonne, eine Kuh läuft vorbei, und drinnen singen zwei Massai vor lauter Zufriedenheit.

Keep you in my heart oder Shopping in Paje.

Danach machen wir noch ein paar kleine Einkäufe. Im örtlichen Speck-und-Musikalien-Laden (Orangen-und-Rasierzeug sollte es hier wohl heißen) kaufen wir Africafe zum Mitnehmen und zwei Kangas zum Verschenken und Gleichtragen.

Strandspaziergang mit Kanga

Strandspaziergang mit Kanga

Kangas sind große, etwa ein Meter breite und knapp zwei Meter breite Tücher bedruckt mit einem Muster und einem Spruch. Die die Frauen hier tragen sie als traditionelle Kleidungsstücke. Ein Tuch wird dabei als Rock verwendet, dazu tragen sie meist ein T-Shirt, und das zweite Tuch ist für alles da: Lockerer Schal, Fliegenschutz für den Spontanschlaf, Babytragesack, Einkaufs- und Gepäckbeutel, legeres Oberteil, Kopfbedeckung… die Verwendungsmöglichkeiten sind unendlich. So bekommt man immer zwei Tücher, die man selbst auseinanderschneiden muss. Jacob übersetzt und wir suchen einen Kanga mit sinngemäßem „keep you in my heart“ aus, den C. und ich uns teilen. Einer wird nach Berlin gehen, einer nach Bremen. Aber erst mal ab ins Meer damit.

Denn jetzt am Nachmittag wollen wir eigentlich bei Ebbe zu Fuß hinaus zum drei Kilometer entfernten Korallenriff wandern. Dort soll es vielfarbige Seesterne und Seeigel geben, die man in dem flachen glasklaren Wasser sogar ohne Taucherbrille anschauen kann. Aber so weit schaffen wir es nicht, das Wasser kommt zu schnell zurück.

Der Strand von Paje II

Der Strand von Paje II

Also sitzen wir auf einer flachen Sandbank, lassen uns umspülen, bewerfen uns mit dem weißen Schlamm und lassen die nassen Kangas im Wind knattern. Das Meer macht wohl jeden zum Kind. Und jedem Kind einen gepflegten Sonnenbrand.

Als wir aus dem Wasser kommen, ist Wind aufgekommen und D. sagt, dass ein Sturm aufzieht. Eine halbe Stunde oder so liegen wir auf dem Bett, draußen ist Unruhe, aber eigentlich wollen wir wieder raus. Im Bikini machen wir uns schließlich auf zum Strandspaziergang, aber der wird richtig frisch. Zum Glück haben wir einen Kanga dabei, in den wir uns beide einwickeln. Was einen Strandwächter sehr belustigt, denn mit der Windrichtung gehend, sind wir zwar ordnungsgemäß von hinten bedeckt, aber als wir zurückgehen (bald), ist nur die Vorderseite mit dem Tuch verhüllt und von hinten hat er eine prima Aussicht auf zwei knappe Bikinihöschen.

Nach einer halben Stunde Sturmspaziergang müssen wir uns unter der Dusche tatsächlich aufwärmen. Aufwärmen. In Afrika.

Der letzte Abend.

Den Strandspaziergang mit Muschelsuche holen wir später nach, bis die Sonne hinter den Palmen untergeht. Ich will nicht, dass der Abend zu Ende geht. Hier ist alles zu schön.

Aber bei Sonnenuntergang ist es ja höchsten 18.30 Uhr und an diesem Abend gehen wir in die Jambo Bar nebenan, um unseren Urlaub zu feiern. Die Jambo Bar ist eine kleine Hütte direkt am Strand, bei der man sitzen und hinter der man im Sand auch tanzen kann. In der Saison. Jetzt sind wir praktisch allein. Mit ordentlich Wind, dem in die Augen fliegenden Sand und einer Gruppe Einheimischer, die aufgrund der Winterzeit ein bisschen auf dem Mzungu-Trockenen sitzt. Sprich: Tanz- und Redepartner finden sich immer. Mindestens.

Aber erst mal trinken wir unseren Cocktail allein, wenn wir denn bitten dürfen, die Herren! Immerhin ist das mein Geburtstagsgeschenk von C.: Am Strand sitzen und Cocktailtrinken. Es wird zwar mehr ein am Feuer sitzen (da streut einem der Sturm am wenigsten Flugsand in die Augen), aber auch das ist schön. Und es gewährt einen weiteren Einblick in die örtliche Müllpolitik, besagend: Was man nicht an den Straßenrand schmeißt, kommt ins Feuer. Die allgegenwärtige Plastiktüte, Alufolie natürlich, und Glühbirnen auch.

Entwicklungshilfe oder First World Ignorance.

Nach dem ersten Cocktail wechseln wir mit D. zurück in die benachbarte Hotelbar, da sind die Cocktails besser. Aber kurze Zeit später taucht eine Horde jugendlicher Dänen auf, die uns alle drei zur Weißglut treibt: Denn dieser unbeleckte Haufen lässt sich von Mami&Papi vier Monate Afrika zahlen, um die Sonnenbaderei und Sauftouren später als „Entwicklungshilfe“ im Lebenslauf notieren zu können. Acht- oder zehntausend Euro kostet der Spaß, wie viel genau, das wissen die Sprösslinge nicht. Entwicklungshilfe ist ja zum Glück keine ernste Angelegenheit, prost, ihr Grünschnäbel, wir gehen lieber zurück in die Jambo Bar, bevor D. zu wütend wird. Denn obwohl sie schon länger nicht mehr „Scheiße! Kein Bock!“ gebrüllt hat, dürften die dämlichen Dänen nicht lange vor ihr in Sicherheit sein.

Strandmusik und Abschiedstanz.

Außerdem gibt es in der Jambo Bar mittlerweile Musik. Nicht die üblichen Kiss und auch kein AC/DC, nicht mal Freddie Mercury (immerhin ist der auf Sansibar geboren), nur Retortenquatsch gibt es, aber wir wollen heute nicht wählerisch sein. Tanzen wollen wir, im Sand und unter den Sternen. In aller Ruhe, meinetwegen auch mit Frank und Jacob (denen ich immerhin zeige, was Pogo ist, indem ich es als traditionell deutschen Stil verkaufe), und wenn’s denn sein muss auch mit dem ein oder anderen Weißfleischjäger. Und mit Abstand, mit dem vor allem. Geht auch ganz gut.

Bis zum rührendsten Moment der ganzen Reise: Frank und Jacob singen mir ein Abschiedslied. Mit ihren rauhen Massaistimmen, die ich so gar nicht nachmachen kann, und mit Worten, von denen ich nur „Sabina“ und „safari“ ( Reise) verstehe. Sie wünschen mir eine gute Heimfahrt und dabei tanzen sie mit C. an der Hand und einem dritten Massai, der zufällig dazukommt, in wilden Sprüngen um mich herum. Mir ist ein klein bisschen peinlich, aber vor allem surreal schön zumute. Danach ist Ende, die Musik ist aus.

Bevor wir gehen, kommt noch ein Strandhund vorbei, der anders als europäische Hunde nicht schnuppernd Kontakt aufnimmt, sondern einfach dasteht und wartet. Ich fange an, ihn zu streicheln – und da ist er dann doch wie jeder Hund, den ich kenne: Erst steht er, dann setzt er sich und dann legt er sich hin, um sich auch den sandigen Bauch durchkneten zu lassen. Einer der Bar-Typen kniet neben mir und wir amüsieren uns beide über das Lächeln des Hundes, denn bei der Bauchmassage zieht er tatsächlich die Mundwinkel nach oben. Von mir aus könnte dieser Abend Jahre dauern.

Muschelsammlung XXIV

Muschelsammlung XXIV

Aber irgendwann haben meine Kontaktlinsen genug Sand geschluckt und sind mehr als müde. Ich nehme Abschied vom dunklen Meer. Jacob und Frank bringen uns die zehn Meter bis zum Hotel, die anderen Jäger schauen resigniert hinterher, aber mehr als eine herzliche Verabschiedung gibt es hier für keinen. Auch wenn das im Stockfinsteren und beinahe Stockbetrunkenen keiner sieht.

Ab ins Bett. Noch einmal den Tag erzählen und noch nicht dran denken, dass ich morgen wieder fahren muss.

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