Ngorongoro oder The Beautiful.
Im Morgengrauen wecken uns die Rufe von Hornvögeln im Wald um das Camp. Nach dem Frühstück – Pancakes mit kritzeroter Vielfruchtmarmelade und Obst – lassen wir uns neben der Küchenhütte kraulen wir die staubigen Bäuche von zwei winzigen Welpen und lassen uns ausgiebig von ihnen in die Finger beißen, dann ruft Harifa zum Aufbruch.
Die Fahrt zum Ngorongoro, der als einer der schönsten Nationalparks gilt, dauert etwa zwei Stunden, dann halten wir auf dem Parkplatz zum Eingang. Um uns herum lauern etwa zwanzig Paviane in unterschiedlichen Größen, und Halifa warnt: Sie schüchtern besonders gern weiße Touristen ein, um an deren Proviant zu gelangen. Wir kommen unbelästigt und ungehindert durch zum Klo (ja, dieses Thema wird wichtig und wichtiger, Halifa lacht schon über die beiden Mzungus, die immer nach den den ersten Minuten Schlaglochtür im stoßdämpferlosen Rover fragen, ob er mal kurz halten könne), während Halifa den Parkeintritt zahlt.
Durch dschungelgrünen Wald geht es vorbei an roten Steilhängen aufwärts zum Rand des Kraters. Geschrieben ist es nur ein Satz, aber es geht steilsteilsteil hinauf, bis zu einer kleinen Plattform, von der die Aussicht auf den weltweit fünftgrößten (und größten belebten) erloschenen Vulkan wirklich überwältigend ist: Unten glitzert ein riesiger See, drum herum eine weite grüne Ebene, auf der winzige dunkle Tierpunkte in Karawanen wandern. Die Hänge der anderen Seite verschwinden schon halb im Blau der Ferne.
Wir dürfen noch einen Moment schauen und dann startet die wilde Fahrt abwärts. Wir stehen unter dem Sonnendeck im Fahrtwind und atmen den Duft des Ngorongoro: Frisches kühles Grün auf der Außen-, pfeffriger Spekulatiusduft und Heugeruch auf der Innenseite. Blühende Büsche und Bäume, grasbewachsene Hänge, ein paar vereinzelte Bäume und unten die endlos weite Steppe. Als erstes begegnen uns ein paar mit hochgereckten Antennenschwänzen galoppierende Warzenschweine. Dann Gnus, dann Zebras. Mehr Gnus, mehr Zebras. Der Krater ist erfüllt von ihnen, von ihrem Hufetrappeln und Schnauben, und vom dumpfen Muhen der waterbeasts.
Ich kriege den ganzen Tag mit all den Tieren nicht mehr in der korrekten Reihenfolge beschrieben, es sind zu viele. Eine unvorstellbare Menge an Tieren.
Wir sehen ein paar Büffel neben einem Wasserloch, in weiter Ferne erst ein und dann noch einmal zwei Spitzmaulnashörner, einen Schakal und mehr als nur ein paar Elefanten im wogenden Grasmeer auf der Südseite. Erst eine und dann mehrere Hyänen, deren unbeholfen hinkender Lauf aussieht, als seien sie bei der Schöpfung der Hinterhälfte noch ein bisschen schlechter weggekommen als die Gnus. Später sehen wir sogar eine Hyänenfamilie, deren Jungen gerade aus einem Erdloch klettern. Bei den kleinen bärenartigen Wesen sieht die hupfende Lauftechnik fast noch niedlich aus, noch nicht hinterhältig und verschlagen.
Sehen wir Giraffen? Ich glaube nicht. Aber dafür begegnen wir einem schlafenden Löwenmann am Rand des von lauter Flamingos pinkfarben gefärbten See. Und einer Gruppe von etwa acht jungen Löwenmännchen. Die sich ganz selbstverständlich und ohne große Neugier in ihren bernsteinfarbenen Augen direkt neben uns zum Schlafen in den Schatten unseres Landrovers legen. Wir müssten nur die Hand ausstrecken, um sie zu berühren, so nahe sind sie uns.
Die Ignoranz und das Nilpferd.
Unser Mittagessen nehmen wir an einem kleinen See ein, malerisch gelegen an der Westseite des Kraters. Mit Schilf auf der einen und einer kleinen, baumbestandenen Einbuchtung auf der anderen Seite – und jeder Menge ohrenwedelnder Hippos darin. Drumherum Kronenkraniche, Webervögel und die wie blaue Edelsteine glitzernden afrikanischen Stare.
Wieder scheinen außer uns nur wenige das Ausmaß dieses Ausflugs zur begreifen: Englische Muttis beschweren sich über die zugegebenermaßen nicht gerade porentief rein duftenden Toiletten, amerikanische Planschkühe walzen blicklos an Scharen gelber Schmetterlinge vorbei oder bleiben lieber gleich reiseführerblätternd im Auto sitzen.
C. und ich sind die Glücklichsten, mal wieder. Und es scheint, als habe auch Halifa ein wenig Spaß an uns: Wir führen eine lange Diskussion über vegane Ernährung, die für Tansanier noch unverständlicher ist als Vegetarismus und einigen uns damit, dass man Fleisch, das aus Massentierhaltung nicht essen kann, weil es „nicht glücklich“ schmeckt. Außerdem sucht er mit dem Fernglas mehrmals das Grasmeer nach den Ohren eines verschwundenen Gepards ab, wartet geduldig auf Nashörner (die leider nicht kommen), fährt langsam, wo andere Jeeps nur so vorbeizischen, und stoppt überall, wo wir nur wollen.
Und er leiht uns seine gute Augen. Wir sehen so viel und wir freuen uns über alles so sehr, dass andere Guides mehr als einmal neidisch winken, bevor sie mit ihrer Schar großwildlüsterner Beschwerdensammler in ihrem eigenen Staub verschwinden. Denn das ist das normale Touristengehabe hier, erklärt uns Harifa: Einen Haufen Geld zahlen und die Tiere nach den Versprechen des Reiseführers abhaken. Nicht selbst staunen, sondern auf Kommando gucken und am Ende reklamieren, was nicht vorgeführt wurde.
Wir stehen lieber und staunen. Über alles. Und wundern uns, wie groß die eigene zoobedingte Prägung ist: Starten in der Ferne ein paar Gnus zu einem ihrer zufälligen Läufe, ist unser erster Gedanke, dass sie bestimmt zu einer Fütterung eilen. Immer wieder muss ich mir ins Bewusstsein holen, dass dies hier kein Gehege, sondern ein Zuhause ist.
Als die Sonnenstrahlen gegen Abend golden werden, sind unsere Köpfe voll mit so vielen Tierbegegnungen, dass wir uns richtig konzentrieren müssen, um neben all den Tieren auch noch ein wenig von der Landschaft mitzubekommen, die mit den steilen Kraterhängen, den Bäumen und dem See mindestens so atemberaubend ist wie ihre Bewohner.
Halifa fährt noch ein paar kleine Wege, dann kommt wieder der Wald. „Ladies, I showed you everything I know in Ngorongoro, you’ve seen everything and now you have to say goodbye.”
Aufwärts geht es und in jetzt beinahe halsbrecherischem Tempo über die roten Straßen über den Kamm, vorbei an den großen Lodges und Massaidörfern zurück zum Eingang.
Monkey Business.
Auf dem Parkplatz will Halifa gerade das Sonnendeck schließen, da tobt der erste Pavian ins Auto und türmt mit unserer übel nach vergorenem Obst stinkenden Mülltüte. Bon appetit, aber als sein nachfolgender Kollege auf C.s Kamera losgehen will, toben wir beiden Mädels los wie King Louis aus dem Dschungelbuch: „Kschksch, verzieh dich, du Biest“, schreien, springen, kreischen, bis der Affe abhaut. Und zwar ohne Beute. Halifa ist jetzt richtig stolz auf uns.
Neben uns steigt eine Gruppe Jungs, Parkarbeiter oder so vielleicht, den sie tragen Arbeitsklamotten und riechen streng nach hartem Tagewerk, aus ihrem LKW. Die Fenster des Führerhauses sind noch geöffnet, sofort steigen zwei wirklich große Pavianmännchen ein – ungeachtet des noch in der Kabine sitzenden Fahrers. Der türmt angesichts der gebleckten Eckzähne schreiend aus dem Auto und seine Kumpels haben noch eine ganze Weile was zu lachen.
Für uns geht es zurück ins Camp und damit zurück zur nächsten Affenbande. Allerdings zu einer kleineren und weitaus amüsanteren Art. Denn heute abend sind alle Honeymoaner ausgeflogen, wir sind ganz allein, und diese Einsamkeit nutzte eine Affenbande mit leuchtendblauen Klöten, um das ganze Gelände in Beschlag zu nehmen. Ein paar von ihnen hocken vor den Spiegeln der Waschhütten, einer jagt Mücken an der Vogeltränke und der Rest tobt über Stock und Stein.
Seltsamerweise lassen sie unser bereits angerichtetes Abendessen in Ruhe. Denn das nehmen wir völlig ungestört ein: Gurkensuppe, Reis und richtiges Gemüse und leckeres, salziges Fleisch, von dem die Küchenkatze mauzend das meiste einfordert.
Danach sitzen wir noch lange unter dem Palmenwedeldach und schreiben in unsere Reisetagebücher. Und heute ist die Gesellschaft sehr viel angenehmer: Erst hopst ein Frosch vorbei, dann beginnt über unseren Köpfen eine Fledermaus zu kreisen und dann – flatsch! flatsch! – fallen direkt neben uns zwei Geckos aus dem Gebälk. Aber die bringen Glück, genau wie Vogelscheiße auf der Schulter.
Später flitzt im Waschhaus noch ein drittes Exemplar in Weiß aus dem Fenster als ich die Tür öffne. Mehr Glück geht wohl kaum, auch wenn in dieser Nacht keine Sternschnuppen zu sehen sind. Als wir abends todmüde im Zelt liegen, mögen wir fast nicht einschlafen, so schön ist alles.