African Journal #1 – Anreise.

Der Nachtflug oder Meine Klaustrophobie und ich.

Der Flug von Hamburg über Istanbul nach Dar es Salam, Tansania, dauerte  insgesamt gute 15 Stunden – meine erste große Reise. Weiter als bis Portugal war ich bisher nie gekommen.

Meine Reisebegleitung C. hatte ich ja erst vor sechs Wochen auf einer Hochzeit kennengelernt – aber mit wem man sich nach einer Stunde schon unterhält, als würde man sich ein Leben lang kennen, mit dem kann man auch getrost ans Ende der Welt fahren. Das sollte man als Sprichwort etablieren, so wahr ist es.

Wir haben also auf der Reise ohne Luftholen geplaudert und in Istanbul eine ganze Packung Pistazienwatte verkonsumiert (als Auftakt zur Zucker- und Frittiertes-Diät der kommenden zehn Tage). So lässt sich jede Wartezeit hervorragend überbrücken.

Sie als Dauerweltreisende war die Entspannung selbst und bis wir in Istanbul zum Nachtflug aufbrachen, war ich es auch. Der Start verlief problemlos, und nachdem ich schon früh am Morgen um 6 Uhr von Berlin nach Hamburg gefahren war, überfiel mich mit einsetzender Dämmerung die bleierne Müdigkeit. Aber an Schlaf war nicht zu denken.

Je tiefer das Dunkel draußen wurde, desto näher schienen die Wände des Flugzeugs zu rücken. Der Lärm der Mitreisend schwoll an, bis mir die Ohren sausten, und ein unerträglicher Druck auf meinen Brustkorb einsetzte. Klaustrophobie. Ich habe keine Luft mehr in meinen Lungen, rasende Angst, das Bedürfnis zu Schreien.

Ich zwinge mich zur Kontrolle. Aufstehen. Nach hinten gehen. Mich im Klo einschließen. Der zwar noch viel kleinere, aber helle Raum beruhigt mich paradoxerweise, denn hier könnte ich die Tür öffnen. Aber das tue ich nicht, so oft in der nächsten halben Stunde auch dagegen geklopft wird. Stattdessen atme ich kontrolliert tief ein und aus. Und sage mir wieder und wieder vor, dass die Stewardessen sicher ein Notfallmittel dabeihaben. Wenn ich aus dem Klo komme und es brauche, werde ich danach fragen. Wenn ich es nicht bekomme, werde ich zu schreien anfangen. Und dann wollen wir mal sehen.

Vorsichtig öffne ich die Tür. Und kann aufatmen: Die Nachtbeleuchtung ist eingeschaltet, durch das Halbdunkel wird das Flugzeug wieder eins mit der Außenwelt und der Raum ist wieder weit. Erschöpft lasse ich mich auf meinen Platz fallen.

Niemand hat meinen Anfall bemerkt.

Pole pole oder Ankunft in Dar.

Tatsächlich schlafe ich bald darauf ein und erwache erst, als wir gegen 3 Uhr früh zum Sinkflug auf Dar ansetzen. C. strahlt vor Vorfreude, die Nacht ist warm, es riecht… fremd. Nach Gewürzen, nach Schweiß, nach einem anderen Kontinent. „Das ist Afrika!“, ruft C.

Draußen vorm Flughafen wartet Benson, taxifahrender Student, Freund einer Freundin und Chauffeur unseres Vertrauens. Er hatte uns bereits ein Zimmer im Kibodya Guesthouse gebucht und bringt uns jetzt mit seinem uralten Auto durch die dunkle Stadt dorthin. Es befindet sich in einer Nebenstraße, ein schlichtes Haus mit gemauerten Fensteröffnungen und jetzt, in der Wintersaison, ohne europäischen Gästebetrieb.

Drinnen weckt Benson die unter dem Rezeptionstisch schlafende Angestellte und besichtigt väterlich unser Zimmer. Und besorgt uns gleich ein Neues, denn in Zimmer Nr. 1 gibt es kein Wasser und alles, was wir in dieser Nacht noch wollen, ist eine Dusche.

Im zweiten Zimmer ist alles schick – Ventilator von Schiffsschraubenausmaß über dem Bett, offene Dusche überm Klo, ein winziger Fernseher und eine ratternde Air Condition. Beides werden wir nicht benutzen. Wir duschen und fallen todmüde ins Bett.

Lektion Nr. 1: Pole pole. Hier funktioniert alles in aller Ruhe. Ob der Nachtportier schläft oder das Wasser nicht läuft, hier wird der gestresste Nordeuropäer erst mal gepflegt entschleunigt. Und es funktioniert: Nach meiner Flugzeugraserei gewöhne ich mich noch in dieser Nacht umstandslos an das neue Tempo.

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