(VÖ 23.03.2012) Im Prog-Rock dreht es sich eher selten um Leichtverdaulichkeit. Lässt man es als Hintergrundmucke rauschen, rauscht es eben – um seine Feinheiten zu würdigen, sollte man ihm schon 150% Aufmerksamkeit widmen. Im Hinhören entdeckt man die wahre Schönheit – das gilt auch für das sechste Album der südamerikanischen The Mars Volta.
Bis zur Unkenntlichkeit verzerrte Gitarren, Elektronikexperimente, ein seit der letzten Platte noch weiter reduziertes Grundtempo, da heißt es Ohren auf! Und zwar ab dem ersten Ton. „The Whip Hand“ steigt mit seiner verzögerten, verschleppten Melodie direkt in die Tiefen des Albums ein – beim ersten Hören braucht sich kein Mars-Volta-Neuling seiner Überforderung zu schämen. Nichts ist, wie es scheint: Kaum glaubt man einen Fetzen Melodie erhascht zu haben, wird er schon wieder dekonstruiert. Nichts bleibt, wie man es erwartet. Hartnäckig im Takt mitwippend, erschließt sich aber doch langsam die verborgene Logik, die hinter der Musik liegt. Oder liegen könnte, wenn The Mars Volta nicht selbst behauptete, ihr Sound sei, keinen Sound zu haben. Aber das ist zumindest bei den ersten vier High-Voltage-Stücken unnötiges fishing for compliments.
„Aegis“ ist ein vergleichsweise fließender, melodischer Song, der ein wenig an die Twilight-Indies von „Muse“ erinnert: So schön wie Fliegen, groß im Klang und zu schön, um nicht auch ein wenig pathetisch zu sein. Nach dem unter Hochspannung dröhnenden „Dyslexicon“ ist „Empty Vessels Make The Loudest Sound“ das erste wirklich ruhige Stück – ruhig im Sinne von entspannend schön. Dass Bixler beim Gesang größtenteils auf seine berühmt-berüchtigten Falsetto-Einlagen verzichtet, und sich statt dessen um tiefere und düster-agressive Tonlagen bemüht, ist dabei durchaus positiv zu bewerten.
Allerdings kippt das Album nach seinem fulminanten Auftakt ziemlich ins Belanglose: „The Malkin Jewel“ lässt nach einem vielversprechend verspielten Anfang mit einer Steigerung in kollektiven Wahnsinn noch hoffen, aber bei „Lapochka“ schleicht sich dann doch purer Geräuschdschungel ein. Die einzigen Lichtblicke sind die gekonnt stotternden Schlagzeug-Einsätze, aber auch das hilft The Mars Volta ab „In Absentia“ nicht mehr weiter. Gewollt, aber nicht gekonnt? So ist es nicht: Gekonnt, aber nicht gewollt und daher beliebig, dürfte eher passen.
„Imago“ hat noch einmal eine schön knarzige Gitarre zu bieten, das nachfolgende „Molochwalker“ erinnert mit seiner relativen Gradlinigkeit angenehm an das sechs Jahre alte „Amputechure“. Danach verläuft sich der Sound allerdings endgültig. Der Abschluss „Zed And The Two Naughts“ lässt vier Songs später tausend Mal den großen Knall erahnen – und endet schließlich belanglos, als hätte jemand versehentlich (oder gelangweilt) die Stop-Taste gedrückt.
Vielleicht ist es das Resultat der ständigen Personalwechsel, der ausufernden Solo-Ambitionen von Gitarrist und Songschreiber Rodriguez-Lopez oder der bandinternen Unstimmigkeiten, dass die exzessiven Orgien von Gitarre, Orgel und Drums auf ein Minimum reduziert wurden. Dass dies „Noctourniquet“ nicht immer gut getan hat und das Album wie seine Vorgänger in die Kategorie „harter Tobak“ einzuordnen ist, steht außer Frage. Aber schon allein, wenn man sich die Songtitel anschaut, ist klar, dass The Mars Volta es weder auf leichte Verständlichkeit, noch auf Ohrwürmer oder musikalischen Fast Food angelegt haben. Das hier muss man schon genießen und genießen wollen – und bei den ersten vier Stücken klappt das auch sehr gut. Für den Rest braucht es dann schon eine Exra-Portion an gutem Willen.
Bewertung: 3/5
Highlights: The Whip Hand, Aegis, Dyslexicon, Empty Vessels Make The Loudest Song